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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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siehst, also, ich meine, nicht nur eine Andeutung von ihm, sondern das richtige …
    Sie waren unterdessen vor dem Haus angekommen, in dem Grigorij wohnte. Der Bulgare suchte in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel, betrachtete eine ganze Weile die Regentonne neben dem Eingang, schien Tränen in den Augen zu haben, dann erglänzte sein Gesicht in einem Lächeln, anschließend suchte er weiter nach dem Schlüssel, fand ihn allerdings nicht. Es war jedoch gleichgültig, denn die Tür war, wie sich herausstellte, nicht abgeschlossen. Der Hausflur war verdreckt und über und über mit Sprüchen beschmiert, fast noch mehr als bei Alexejs erstem Besuch. Grigorij grüßte jeden, der ihnen entgegenkam, mit großer Höflichkeit. Im ersten Stock standen zwei Russen in Unterhemden auf dem Treppenabsatz, rauchten und zeigten Grigorij einen Vogel, als er sie höflich grüßte. He, Väterchen, riefen sie zu Alexej, niemals grüßt der verrückte Bulgare, aber heute grüßt er, wie haben Sie das gemacht? Grigorij reagierte auf all das überhaupt nicht. Alexej blieb stehen und fragte die beiden Russen, seit wann sie hier wohnten. Drei Monate, sagte der eine. Der andere sagte, er wohne seit eineinhalb Jahren hier. Alexej fragte, ob damals Grigorij bereits hier gelebt habe. Ja, bestätigte der zweite Russe, habe er. Grigorij stand während dieser Unterredung da wie ein Hündchen … er betrachtete, weil er nichts anderes zu tun hatte, das kleine Fenster im Treppenhaus, das mit einem Gitterkreuz versehen war und einen rechtwinkligen Kreuzschatten auf die ganze Treppenhausszene warf.Auch Alexej bemerkte diesen Kreuzschatten. Es schien, als erschrecke Grigorij über diesen Kreuzschatten, denn plötzlich stieg er schnell die nächste Treppe hinauf. Alexej folgte ihm. Oben lief der Bulgare den Gang entlang, sehr eilig, vor seiner Tür suchte er wieder nach einem Schlüssel, diesmal fand er ihn in seiner Hosentasche, und tatsächlich war sein Zimmer abgeschlossen. Grigorij hatte also immerhin noch genügend Verstand, die Tür abzusperren. Sein Zimmer sah genauso aus wie an dem Tag, als Alexej in Potsdam angekommen war. Nichts hatte sich verändert. Alexejs Tasche stand an derselben Stelle, an der er sie abgestellt hatte. Grigorij ging sogleich mit emsigen Bewegungen daran, Wasser in den Wasserkocher zu füllen, um es anschließend für den Tee zu erhitzen. Wahrscheinlich, dachte Alexej, hatte er die zwei Russen im Treppenhaus nur deshalb begrüßt, weil er so seltsam enthusiastisch ist. Er ist geradezu aufgekratzt, aber warum nur? Dann saßen sie, jeder mit einer Tasse, auf der Bettkante, und Grigorij erzählte von seinem Glück.
    Immer wieder verwendete er die Lichtmetapher. Er warf mit dieser Lichtmetapher alles durcheinander bis hin zur völligen Unverständlichkeit. Andererseits, das wußte Alexej, war auch keinem unter den Menschen wirklich damit gedient, die Worte voneinander zu trennen und genau zu unterscheiden. Grigorij war in seiner eigenen Welt, und was er in ihr sprach, war für Alexej kaum zu beurteilen, aber vielleicht auf seine Weise ganz wahr. Grigorij begann die Geschichte seines Lichts, angefangen bei den Andeutungen, noch einmal ganz ausführlich von vorn zu erzählen … von der Kindheit an. Vom Winter,vom Schnee, den Schlitten mit ihren Lichtern, dem Weihnachtsbaum, von Ostern, wie sie in der Schule Kerzen auf den Tischen angezündet hatten, wie überhaupt Kinder ihre ganz eigene Form des Lichtes haben und das Licht, dasselbe Licht, für die Kinder bestimmt etwas ganz anderes ist und mit Sicherheit ganz anders aussieht als später für die anderen … obgleich sie es genauso lieben, wenn auch auf andere Weise … später sei dann die Zeit gekommen, wo er sich für das Licht bestraft habe, immer wenn er das Licht gesehen habe, habe er sich bestraft, in Worten und in Taten, und je mehr er sich bestraft habe, desto heller sei die Andeutung des Lichtes geworden, und das sei, wie er wisse, bei jedem der Fall, denn anders sehe man das Licht nicht: man bestraft sich, wenn man es sieht, und sieht es dadurch deutlicher. Grigorij wurde in seinem Monolog immer kryptischer, bis er (er hatte gerade seine erste Tasse Tee beendet) in eine regelrechte Verzückung geriet, in der er immer wieder Dinge ausrief, die Alexej nicht verstand, die Grigorij aber mit besonderem Nachdruck hervorbrachte, weil sie ihm offenbar sehr wichtig waren. Er erzählte, mit achtzehn sei er Soldat geworden und habe sich dem Selbstmord geweiht, und diesen

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