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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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gesagt, so ein Entschluß von mir, so wie ich auch einmal fast einen Monat den linken Fuß nachgezogen habe, nur so, weil ich mich auch dazu entschlossen hatte. Ich zog einen Monat den Fuß hinterher, jeder glaubte, es sei die Wahrheit, jeder glaubte, es sei etwas mit dem Fuß passiert, und währenddessen glaubte ich selbst es auch. Ich stand morgens auf, trat auf, und der Fuß funktionierte nicht, es geschah wie von selbst. (Leise:) Andere schweben bisweilen, wußtest du das? Ich habe es selbst gesehen. Sie schweben fünf Zentimeter über dem Boden. Aber es gelingt ihnen nur kurz. Ich immerhin zog den Fuß einen Monat hinter mir her, aber dann starb meine Tante, ich ging zur Beerdigung, und anschließend hatte ich es vergessen. Ich war wie gesagt fünfzehn zu dieser Zeit. Und weißt du, was seltsam ist? Mit dreiundzwanzig fing es wieder an. Wieder war es der Fuß. Er blieb von selbst zurück. Ich schob es auf einen Unfall, den ich hatte. Noch heute laufe ich nicht wirklich gerade, ist dir das aufgefallen? Man muß genauhinschauen, dann sieht man es. Alexej konnte nicht umhin zuzugeben, daß ihm das bereits in Winsen aufgefallen war. Hm, machte Grigorij und starrte vor sich hin, während Alexej mit seiner Tasche im Raum stand. Der Engel kommt wieder. Der Engel und der Fuß. Der Engel hat eine ganz genaue Angabe gemacht, hihi. Aber es wundert mich nicht, daß auch, oder gerade, die Engel nach dem Kalender planen. Dann werde ich das Licht noch einmal sehen. Dann werde ich geheilt sein, weißt du, was ich meine? Ich werde alles wieder abschließen, wie er es mir gesagt hat. Und dann kann ich auch sterben. Aber man kann nicht sterben, während man auf einen Engel wartet, der sich angekündigt hat … Alexej ließ seinen alten, verrückt gewordenen Bekannten weiterreden. Er stellte seine Tasche wieder ab. Es brach ihm das Herz, diesen Menschen so zu hören.
    Grigorij fing wieder mit dem Kalender an. Er kam auch wieder auf den Schlecker und den Park zu sprechen, auch auf jenen Augenblick, als er aus dem Fluß gestiegen war und die beiden Mädchen vor ihm und seinen zwei Kollegen standen, und schließlich bekräftigte er, daß der Engel, daß er … kurzum … am siebten August noch einmal komme, der Engel, und er dürfe mit ihm mitgehen, mit dem Engel ins Licht.
    Alexej setzte sich wieder, während Grigorij stammelte, am siebten August, am siebten August, und daß er bis dahin keinesfalls sterben könne, und daß er eine Kerze anzünden werde und vor allem geschützt sei.
    Grigorij, fragte Alexej, warum sagst du das: du habest einen Engel gesehen? Bist du dir sicher?
    Er war nicht schmutzig, sagte Grigorij. Ich habe lange auf ihn gewartet, und er ist so nett, ich … ich … ich werde alles abschließen und nie mehr hingehen … ich habe es versprochen … Grigorij verfiel jetzt in ein längeres Schweigen. Er wirkte nun panisch, als habe er alles, was den Engel betrifft, eben durch sein Gefasel entweiht. Er wollte nun gar nicht mehr mit Alexej reden. Hatte er in der letzten Viertelstunde teilweise klar und verständlich gesprochen, so gab er nun bloß noch schluchzende Laute von sich. Plötzlich sprang er auf und rief, es gebe keine Engel, er habe gelogen, er habe alles erfunden, er habe übrigens auch nie seinen Fuß nachgezogen, er habe ihn angeschwindelt, es sei alles nur ein Provisorium, es sei alles »im nachhinein«, ja, sie sollten noch einen Tee trinken, auf den Kapellenberg solle er kommen, ja, das sei interessant, den Erzpriester kenne er, glaube er, gar nicht, wie heiße er denn?
    Du hast deinen Fuß damals nachgezogen, sagte Alexej traurig. Du hast ihn auch eben nachgezogen.
    Nein, rief Grigorij nun geradezu verzweifelt, bestimmt nicht habe er den Fuß nachgezogen, er wäre nie auf den Gedanken gekommen, er sei nur verwirrt, es sei ihm nur so vorgekommen!
    Grigorij, fragte Alexej, hast du eben die ganze Zeit von einer Frau gesprochen? Hast du eine Frau kennengelernt? Oder ein … Mädchen?
    Sie haben es mir geklaut, rief Grigorij, sie haben es mir von da geklaut und mich verhöhnt, rief er und wies auf einen leeren Bilderrahmen an der Wand mit einem kleinen Brettchen darunter. Aber ich habe es wieder … es istjetzt in Sicherheit … ich habe es mir noch am selben Tag zurückgeholt!
    Grigorij sprang auf. Er lief wie von Sinnen durch den kleinen Raum, rang die Hände, schluchzte, fiel auf die Knie und trommelte mit den Fäusten gegen seinen Kopf, so daß Alexej ihm die Arme festhalten mußte. Spucke lief aus

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