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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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Außenaltar habe ich allerdings Pech: Ein paar Bretter liegen
wie ein altes Skelett in der Sonne, das war’s. Auch von einem Pilgerbuch gibt es keine Spur mehr – also, dass sowas in Köln nicht lange hält … aber hier? Vor dem Ex-Altar finde ich immerhin noch ein verblichenes Schild: »Lachkapelle« lese ich zuerst, dann nochmal: »La Chapelle« wäre die richtige Lösung gewesen – egal. Weiter! Ich laufe durch das Genfbachtal, laut Pilgerführer eines der schönsten Wiesentäler der Eifel und strecke mich irgendwann der Länge nach auf einem Baumstamm aus – er ist von der Sonne ganz warm. Von da an zieht sich die Etappe wie mit einem Laserpointer gezogen durch einen Wald – bis zur B51: Dort macht der Weg plötzlich einen abrupten Knick durch ein kleines Förstchen mit herzlich knorrigen Pfaden. Allzuviel bekomme ich davon allerdings nicht mit, denn ich bin inzwischen wieder ins Grübeln gekommen. Irgendwie lässt mich dieser peinliche Osterartikel in der ZEIT nicht mehr los – komisch, ich dachte, das hätte ich längst abgehakt. »Theologie«, knallt es mir plötzlich durch den Kopf, »bedeutet Nachdenken über die Frage, warum man in Glaubensdingen den Verstand ausschalten muss.« Also denken, um nicht mehr denken zu müssen … Theologie ist ja die einzige Wissenschaft, der ihr Gegenstand immer mehr abhanden kommt, je intensiver sie darüber grübelt. Eigentlich können sie einem Leid tun, diese Bischöfe und Priester und Päpste, die den Menschen überaus komplexe Dinge, über die sich die besten Gelehrten ihrer jeweiligen Generation seit Jahrhunderten das Hirn verrenken, als »gute Botschaft« verklickern müssen. Gute Wahrheiten, denke ich mir, brauchen keine verstiegenen Debatten über die Frage, ob Vater und Sohn nun ein und dieselbe Person sind oder doch nicht. Aber genau so schnell, wie diese Ideen angeflogen kamen, fangen sie plötzlich an, mich zu ärgern. Könnten da nicht mal langsam ein paar positive Gedanken kommen? Warum arbeite ich mich nur die ganze Zeit an diesem Thema ab?

    Egal – positiv denken: Die Jugendherberge in Blankenheim soll sich in einer alten Burg befinden! Das ist doch was! Nichts wie hin! Ich beschleunige meine Schritte und staune, wie viele Reserven ich noch aus dem Tank ziehen kann – nach immerhin fast 20 Kilometern! Ist da ein Knoten geplatzt? Irgendwann biegt mein Waldweg in ein kleines Sträßchen ein, das von wenigen Häusern gesäumt wird wie von neugierigen Kindern – und stehe tatsächlich vor einer respektablen Ritterzentrale! Alter Falterverwalter! Meine Unterkunft heute! Königlich! Ich stiefele festen Schrittes in den Hof – und sehe vor dem Eingang jemanden stehen. Na sowas! Wenn das mal kein Pilger ist! Ein untersetzter Mann um die 60: Beine wie Wurzeln, Schuhe wie Felsbrocken. Ein Sonnenhut aus derbem Leder, ein T-Shirt, das den exorbitanten Bauch, unter dem eine Gürteltasche fast um Hilfe ruft, eher betont als zu verbergen versteht — und ein Rucksack, den ich keine 200 Meter weit schleppen könnte: ein unförmiges Ding, an dem obendrein ein Paar Schuhe und sogar eine Gitarre baumeln. Zu all dem trägt der Kollege einen Pilgerstab, mit dem man eine Rotte
Wildschweine totschlagen könnte. Aber warum sieht er so sauer aus?
    Tja: Die Nacht als Burgherr kann ich abhaken. Ein winziges Schildchen informiert mich und meinen neuen Pilgerbruder Werner (!) darüber, dass die Herberge seit 14 Uhr dicht ist. Verrammelt. Vernagelt. O. K., es gibt Ausweichquartiere: in Bad Münstereifel, da komme ich her, und in Gemünd – von da aus hat sich mein Kollege heute Morgen auf den Weg gemacht. Sauerei ! Wir tigern eine Weile vor der verschlossenen Tür herum und lauern sogar einem Typen auf, der den Hof betritt. Ist aber leider auch nur ein Spaziergänger. Dann muss es eben ohne Burg gehen. Unten im Dorf haben wir zum Glück mehr Glück — schon nach zehn Minuten lehnt mein Rucksack an der Wand eines lauschigen, kleinen Fremdenzimmers, dessen Besitzerin ich mit meiner Buchung offenbar eine Riesenfreude mache.
    Bei meiner anschließenden Stempeljagd — der Ort ist voller Hinweisschilder! — treffe ich Werner wieder. Er hat es sich in der Zwischenzeit auf einer Hotelterrasse bequem gemacht, vor sich ein großes Glas Irgendwas mit Schaum drauf. Ich setze mich zu ihm und schwitze ein bisschen

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