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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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mit. Als ich ihm den Preis meiner Pension nenne, sieht er mich an, als hätte ich soeben die Maggiflasche statt meiner Apfelschorle an den Hals gesetzt. Ich frage ihn schnell nach seinem Ziel. »Rom!«, sagt er, und es klingt nach einem tiefen Schluck aus einer kühlen Pulle Bier. In Santiago de Compostela war er schon mal. Eigentlich schon zweimal. Vom Jakobsweg hatte er schon in den 80ern gehört. »Ich hab’ gedacht, die müssen bekloppt sein, so viele Kilometer zu Fuß!«, sagt Werner. 40 Tage vom Job weg, das ging gar nicht. Trotzdem klebte ihm diese Sache weiter an der Stirn. Dann ist seine Frau krank geworden. Als sie wieder gesund war, hat er sich doch noch auf den Weg gemacht, 2007 war das. »Da war sicher auch ein Stück
Dankbarkeit dabei«, sagt er. 40 Tage hat er trotzdem nicht gebraucht: Beim ersten Mal war er nach 32 durch. 2008 ist er dann nochmal mit seiner Frau los. Aber da war das Wetter mies, sie sind tagelang durch knietiefen Schlamm gewatet, irgendwann hatte sie keinen Bock mehr — also Kommando zurück. Dann hat Werner die Sache ein paar Monate später eben alleine zu Ende gebracht. Sauer? Nee: »Die Entscheidung zu pilgern kann einem niemand abnehmen. Das verlangt alles von einem ab. Das muss man mit dem Kopf entscheiden. « Und jetzt eben Rom. 20 bis 30 Kilometer will Werner am Tag abreißen. Kilometer zählen will er aber erst, wenn er über die Alpen ist — mit seiner aktuellen Leistung ist er nämlich gar nicht zufrieden: »Das muss mehr werden«, sagt er und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Er ist seit Donnerstag unterwegs, und der Regen hat ihn bereits einen Tag gekostet. Erst bin ich ein wenig stolz, dass ich mich von dem Wolkenbruch nicht habe abhalten lassen. Bis mir einfällt, dass ich den Ruhetag eben danach gebraucht hatte … »Wennste Rom hast, brauchste ja nur noch Jerusalem, dann sind dir bis ans Lebensende alle Sünden vergeben«, sage ich. Habe er auch gelesen, sagt er, aber an Jerusalem reize ihn überhaupt nichts. Ich bin da nicht so sicher. Denn auf alle meine Fragen, warum er denn nun wirklich in Santiago war und jetzt nach Rom gehen möchte, antwortet er seltsam unbestimmt. Vielleicht weiß er es ja selbst noch nicht.
    Zurück in meinem Zimmer mache ich eine Flasche Ahr-Wein auf: Der Fluss entspringt nur ein paar Meter weiter. Ich habe einen Tisch und ein Bett und einen irre bequemen Sessel. Blöde Jugendherberge. Wozu brauche ich überhaupt eine Burg? Wozu brauche ich überhaupt irgendwas ?

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Montag, 20. April – Blankenheim bis Kronenburg
    Ich stehe mitten in einer ganzen Tankerladung Morgenlicht. Was für ein hübscher Ort: Bis auf eine arg technophile Beton-Landstraßentrasse am Ortsausgang ist Blankenheim eine Art Bad Münstereifel im Taschenformat — Fachwerk überall, Fassaden weiß wie frisch gewaschene Tischdecken, darin Tür- und Fensterrahmen aus rosa (!) Sandstein, am Ende meiner Straße sogar ein altes Stadttor — man möchte sich alles einpacken lassen und mitnehmen. Die Burg können sie allerdings behalten. Egal — ob das so weitergeht? Mein Tagesziel Kronenburg wird unter Kennern immerhin als »Juwel des oberen Kylltales« gehandelt. Auf dem Weg dahin komme ich jedoch erstmal in einen Wald, dessen größte Sehenswürdigkeiten zwei Hügelgräber sein sollen, die ich leider nicht entdecke. Immerhin scheint der Weg hier halbwegs authentisch zu sein, denn laut Pilgerführer sind hier über die Jahrhunderte immer mal wieder »von Allmosen lebende Jacobsbrüder« aufgelesen worden, die man natürlich schleunigst des Landes verwiesen hat. Wenn sie im Winter da waren, dürften sie wenigstens was zu tun gehabt haben: Ich passiere ständig Schilder, die mich auf irgendwelche Ski- und Rodelbahnen hinweisen. Irgendwo lese ich: »Bitte die Loipen nicht betreten«. Ich werde mir Mühe geben — bei der Hitze, die auch heute wieder aus dem mariengewandblauen Himmel rieselt wie trockener Sand, sind die allerdings schwer zu finden.
    Nach ein paar Kilometern erreiche ich ein Örtchen namens Waldorf. Die Annäherung macht Spaß: Zuerst
ist es nur ein Häufchen Würfelchen am Horizont, eine Stunde später passt das gesamte Dorf in meine rechte Hand, nach fünf weiteren Minuten setze ich schon einen Fuß hinein. Ich darf

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