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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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aufgefallen, dass von unterschiedlichen Standpunkten aus ein und dasselbe sowohl richtig als auch falsch sein kann? Zumindest bei den wirklich wichtigen Dingen auf dieser Erde. Tierversuche, Sterbehilfe, Frauen … Kannste immer so und so sehen. Das ist völlig normal. Deine Bestätigung kannste vergessen.« Ich denke eine Weile nach. Werde trotzig. »Dann kann ich ja auch so weitermachen wie bisher.« Mein Gedanke ist eingeschnappt: »Trotzdem musst du dich nun mal langsam entscheiden.« »Aber Herrgott nochmal, wie denn, wenn selbst du sagst, dass jede meiner Entscheidungen
gleichzeitig richtig und falsch sein kann? Das bedeutet ja dann wohl auch, dass es immer jemanden gibt, der das, was ich mache, scheiße findet, egal wie lange ich vorher drüber nachdenke! Das wird ja immer wilder! Und überhaupt: Was wäre denn bitte, wenn ich mich, sagen wir mal, entscheide, alles hinzuwerfen, um Musiker zu werden? Und dann alles gegen die Wand fahre?« Ha! Darauf hat mein neunmalkluger Kopf erstmal keine Antwort. Aber ich habe das Gefühl, dass die Sache noch nicht gegessen ist. Dass ich die falschen Fragen stelle. Und dass es um all das irgendwie überhaupt nicht geht.
    Mir wird klar, dass ich seit Tagen Weichen stelle.
    Etwa zwei Kilometer hinter dem sogenannten Vierherrenstein, einem kleinen Grenzstein mit uralten Wappen drauf, schlägt der Jakobsweg einen Haken um eine Eisenbahntrasse. An der Stelle, wo ich die Gleisanlage legal überqueren darf, quatschen Leute neben einem orangen Laster. Menschen! Mein Gott: Von Waldorf bis hier war mir gerade mal ein Auto entgegengekommen! Jetzt erst fällt mir auf, wie einsam die Gegend ist! Ich wandere durch eine Modelleisenbahn! Selbst die Straßen, die sich durch die Gegend winden, sehen aus wie im Katalog eines Landschafts-Versandhauses. Wozu haben die hier überhaupt welche gebaut? Erst kurz vor Baasem ist der Spuk vorbei: Ich überquere die B51, die sich hier ruppig wie eine Autobahn benimmt, weiß allerdings nicht, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht. Trotzdem: Pause – Pilgerführer raus. Die letzten Kilometer bin ich so gut vorangekommen wie ein Ball, der einem Kind auf einem Berggipfel aus der Hand geglitten ist. Blöderweise erfahre ich jetzt, dass ich für die nächste Pilgerherberge einen fetten Umweg machen muss. Zum Glück bitten die um Voranmeldung – und niemand hebt ab. Also weiter! Dumm
nur: Kronenburg taucht ums Verrecken nicht auf. Sowas hatte ich noch nicht: Wiesen und Weiden ohne Ende, aber kein Ortsschild! Selbst die Häuser in den Dörfchen, die ich links und rechts auf den Hügelkuppen sehe, scheinen inmitten der Wiesen zusammenzurücken wie Pferde in einem Schneesturm. Noch 800 Meter – da müsste ich doch allmählich was sehen ! Aber nichts! 500 Meter – immer noch nichts! Ich komme mir vor wie ein Astronaut, der vom Mond zurückkehrt und auf dem falschen Planeten gelandet ist. Vielleicht packen die ihre Städte hier ja tagsüber ein, damit sie nicht dreckig werden?
    Aaah: Keine Bombe, keine Verschwörung, sogar der richtige Planet – Kronenburg liegt bloß an einem Hang. Ich bin nur von der falschen Seite gekommen. Trotzdem gibt es einen Grund zur Bestürzung: Ein 18-Karäter ist das Juwel des oberen Kylltals nicht – nicht mal 500 Leute wohnen unter den Dächern der Ansiedlung, die »Ort« zu nennen so übertrieben wäre wie eine Frittenbude ein Restaurant zu heißen. Dabei klingt der Name so, als müsste es hier mindestens fünfzig Andenkenshops und jährliche Osterfestspiele geben, die vom ZDF live übertragen werden, moderiert von Florian Silbereisen … Dafür ist Kronenburg überirdisch hübsch: Unter dem Stadttor heißt mich eine kleine, bronzene Jakobsmuschel willkommen, dahinter sehe ich schiefe, weiß getünchte Häuschen und einen gewaltigen hohlen Zahn von Burgruine. Aber es gibt ja noch Haken Nummer zwo: Ich sehe keine Menschen ! O. K., keine Atombombe, aber vielleicht ein Biowaffen-Testgelände? Arrgh: Stimmt – es ist Montag! Und unter der Woche ist die Eifel zu ! Mein Gott! Was, wenn ich hier keine Unterkunft finde? Schlimmer noch: Keinen Supermarkt? Werde ich heute Abend Würmer aus dem Boden graben müssen? Bei einem Bauern klopfen und fragen, ob ich
mich unter eine Kuh legen darf? Jetzt bloß cool bleiben! O. K.: Die Pensionen sind tatsächlich alle zu. Das einzige Haus,

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