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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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Tischdecke. »Nee …« Standby. Etwas mehr Rechenzeit – tiefere Datenbanken … »Nee, da gibt es nichts. Ich lass’ Ihnen die Kanne hier stehen, O. K.?« »Aber … wo kaufen Sie denn ein?«, frage ich. Leichte Panik steigt in mir auf. Fast möchte ich ihren Arm greifen, damit sie nicht weggeht. »Wir fahren immer nach Stadtkyll …« antwortet sie, als hätte sie der Weihnachtsmann nach Ostereiern gefragt. Ich schaue auf meine Karte. Stadtkyll liegt etwa vier Kilometer von hier, ziemlich genau im rechten Winkel zu meiner Route. Maximaler Umweg. Ich bekomme plötzlich einen beißenden Hunger. Mein Gott: 25 Kilometer durch einen der einsamsten Landstriche der Erde – ohne Proviant? Als ich beim besten Willen
keinen Krümel mehr runterkriege, schmiere ich mir heimlich noch eine Semmel für unterwegs. Ich weiß: Sowas wird in keinem Hotel der Welt gerne gesehen, schon gar nicht in solchen, in denen Ritterrüstungen im Speisesaal stehen. Wo war nochmal Stadtkyll? Aber es dauert nicht lange, bis ich merke, dass ich mir schon wieder umsonst Sorgen gemacht habe: Nachdem meine Diva den Nachbartisch wieder in einen vorzeigbaren Zustand gebracht hat, kommt sie noch einmal zu mir. »Ist noch jede Menge da. Können Sie sich alles einpacken«, sagt sie. Das Hotel hätte sowieso zu, also würde das Zeug ohnehin nicht mehr alt …
    Auch an einer anderen Front gibt es eine gute Nachricht: Zum ersten Mal seit Tagen drücken die Blasenpflaster mehr, als dass sie lindern – es fühlt sich an, als würde ich über ein kleines Schnitzel laufen. Ich reiße sie mir in einer kleinen, feierlichen Zeremonie herunter und verlasse mein Zimmer. Unten drückt mir die totliebe Hotelchefin – im zweiten Leben Motorrad-Rockerin, wie sie mir aus irgendeinem Grund anvertraut – noch einen Stempel in den Pilgerpass und zwei Äpfel in die Hand. Dann sehe ich zu, dass ich loskomme. Jetzt gilt’s! 25 Kilometer durch die Eifel! Dagegen ist eine Polarexpedition ein Ponyhof! Weit komme ich trotzdem erst einmal nicht. Etwa zwölf Schritte von meinem Hotel entfernt spricht mich ein freundlicher Mann an: um die 60, graue Haare, Dreitagebart, Windjacke. Er stellt sich als Ex-Pilger vor und betrachtet mich offenbar als Kollegen. Sein Santiago war schon vor ein paar Jahren, allerdings von Pamplona aus – das Gepäck hat damals ein Reiseveranstalter von Pension zu Pension gekarrt, so dass er tagsüber nur ein Mini-Rucksäckchen mitschleppen musste. Trotzdem war die Tour ein Martyrium! Schlamm, knöcheltief! Und die Hunde erst! »Wenn ich da noch mal hinfahre, dann um Hunde einzufangen und nach China zu schicken«, sagt er.

    Ich verabschiede mich etwas schneller als sonst. Auf meinem Weg bin ich deshalb noch lange nicht. Komisch: So lange sich Kronenburg gestern vor mir geziert hat, so schwer finde ich heute wieder raus … Ich brauche glatt drei Runden durch den Ort, bis ich endlich den Ausgang gefunden habe! Dabei hat Kronenburg gerade mal zwei Straßen! Ein Pilgermagnet! Am Ende läuft mir sogar der Hunde-Pilger noch einmal über den Weg; ich fürchte, dass er sich jetzt etwas abgewimmelt vorkommt … Aber als ich meinen Ariadnefaden endlich entdeckt habe, ist es elf – und der Jakobsweg führt natürlich direkt unter meinem Hotelzimmer entlang. Egal – dafür geht es jetzt erstmal steil bergab: Das ist aber mal eine Abwechslung! Kilometerstand: 278,4 – heute werde ich die 300 knacken! Und die Gegend ist wie der zum In-Flaschen-Füllen: Im Tal liegt ein kleines Flüsschen, das sich im Vormittagsdunst durch eine satte Wiese schlängelt, wie sie Renoir nicht besser hinbekommen hätte. In Kronenburgerhütte, einem Vorort von Kronenburg, der seinen Namen tatsächlich einem ehemaligen Eisenhüttenwerk verdankt, entdecke ich kurz darauf die Skulptur eines Heiligen, der Zeige- und Mittelfinger vor den Mund hält und mich anstarrt, als würde er mich mit einigem Nachdruck um eine Zigarette bitten. Ich muss lachen –
erst später erfahre ich, dass der heilige Johannes de Pomuk nur deshalb als Brückenheiliger verehrt wird, weil er 1393 zum Tode durch Ertränken verurteilt wurde. Er wollte das Beichtgeheimnis nicht brechen. Heiligemuttergottes: Der Heilige ist gar kein Raucher, er zeigt mir nur, dass er schweigen kann … Die Strafe für meine Respektlosigkeit streiche ich prompt ein:

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