Santiago liegt gleich um die Ecke
aus dem Geräusche dringen, scheint ausgerechnet zu den nobelsten am Platze zu zählen. Egal â zur Not nehme ich einen Kredit auf. Besser, als in diesem menschenleeren Kaff zu verdursten!
»Das ist schlecht, wir haben heute eigentlich zu, wissen Sie ⦠Aber warten Sie: Wir haben eine Firma da ⦠eine Schulung â¦Â« Ich falle auf ein weiches Kissen. Die Dame an der Rezeption lässt sogar mit sich feilschen. O. K.: Mit der Präsidentensuite darf ich nicht rechnen â mein Zimmer ist unterm Dach. Auch diese Treppe ist schon wieder so eng, dass ich meinen Rucksack abnehmen muss, um nicht steckenzubleiben. Dafür finde ich unter meinem Nachttisch einen Bademantel und zwei weiÃe Hausschuhe, so weich wie Hundeohren. Noch wichtiger: Die Heizung bullert wie ein Lagerfeuer. Hier werde ich meinen ganzen Rucksack durchwaschen können â ich bin im Paradies!
Vor dem Abendessen gehe ich nochmal raus. Die Nachmittagssonne hat die Burgruine sehr lieb â ich kann mich kaum sattsehen daran. Vor dem Haus des Ortsvorstehers fällt mir später eine seltsame Skulptur auf: Sie sieht aus wie ein Steinblock, den jemand in der Mitte gespalten hat. Drinnen sitzt ein Kopf wie ein Kristall in seinem Muttergestein. Gefällt mir! Ein paar Sekunden später weià ich auch, warum. Denn während ich das Ding betrachte, meldet sich plötzlich das Unterprogramm wieder, dem ich heute Mittag die Sache mit dem Entscheidungsproblem übergeben hatte. »Ich habâs jetzt«, sage ich mir. »Was denn?« »Es ist ganz einfach.« Ich gehe ein paar Schritte und warte, was da noch kommt. »Dein Problem ist, dass du die Richtung suchst, in die du gehen sollst. Darum geht es aber gar nicht. Viel wichtiger
ist, woher du kommst.« »â¦Â« »Denkâ doch mal nach. Wenn alle deine Entscheidungen richtig und falsch zugleich sein können, je nach Standpunkt â worauf kommt es dann an?« »Auf den Standpunkt?« »Bingo. « Mein Kopf lässt nicht locker. »Der Standpunkt ist nicht nur der Ort, von dem aus du losgehst, verstehst du? Er gibt dir zugleich die Richtung vor, die du einschlägst, denn er entscheidet über den Weg, den du gehen willst. Hast du selbst gesagt. Du hast recht: Du musst dich gar nicht entscheiden . Du musst es nur zulassen . Ist das nicht schön?« »Moment mal. Das bedeutet ja, dass die wesentlichen Entscheidungen eigentlich alle schon gefallen sind?« »Ja, die wichtigen schon. Entscheidend ist, wo du stehst. Der Rest ergibt sich von selbst.« Komisch â klingt irgendwie logisch. Aber auch seltsam. In etwa so, als würde ich ankommen in dem Moment, in dem ich endlich losgehe. Suche ich die ganze Zeit das Falsche? Habe ich das Wesentliche vielleicht bereits gefunden, ohne es zu merken? Irgendwie verstehe ich immer noch nicht so recht, was ich mir damit sagen will. Trotzdem habe ich das eigenartige Gefühl, dass mir eine Last von den Schultern rieselt wie eine Tonne Rost von einer alten Eisenskulptur. Aber ich traue dem Braten noch nicht.
Später ruft meine Frau an und berichtet mir, dass die Medien wegen der Wirtschaftskrise voller Hiobsbotschaften sind. »Das wäre auch so, wenn ich im Büro wäre«, sage ich ihr. Und frage mich kurz, wer denn da in den Hörer in meiner Hand spricht ⦠Was bleibt von diesem Tag hängen? Schwer zu sagen. Ich habe neben einer alten Ritterrüstung zu Abend gegessen. Und die Sache mit dem Entscheiden müssen ? Keine Ahnung, was das sollte.
Gestatten: Das Cruz de Ferro des Jakobswegs Dortmund-Trier
Dienstag, 21. April â Kronenburg bis Prüm
Die Business-Leute vom Nachbartisch werfen ihre Servietten auf die Platzdeckchen und hinterlassen einen Kosmos aus Krümeln und Eierschalen. Ich nicke ihnen zu: Ihnen habe ich schlieÃlich zu verdanken, dass ich nicht in Hühnerställe einbrechen musste, um an ein Abendessen zu kommen. Ich setze mich an meinen Platz, der in weiÃem Morgenlicht geradezu ersäuft, als hätte jemand vor dem Fenster eine Magnesiumfackel aufgestellt. Die junge Bedienung wirkt genervt wie eine Filmdiva, der man gerade das Schminktischchen umgeworfen hat, scheint aber entschlossen, friedlich zu bleiben, solange ich nicht zuviel Aufwand mache.
»Gibt es auf dem Weg nach Prüm irgendwo einen Supermarkt?«, frage ich, als sie meine Tasse füllt. »Nach Prüm?« Fast landet ein Teil meines Kaffees auf der
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