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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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allerdings doch nicht weiter: Wenn ich geglaubt hatte, dass ich einfach die Kohle abwerfen und weitergehen könne, als ob nichts wäre, vielleicht sogar irgendwie erleichtert, habe ich die Operation ohne den Chirurgen gemacht. Ob das wirklich richtig war? Man wirft doch kein Geld weg … Es bleibt
ein mieses Gefühl. Aber irgendwie bestätigt mich genau das auch in dem Gedanken, das Richtige getan zu haben. Immerhin ist der Weg von da an eine Weile freundlich zu mir. Es geht tatsächlich ohne große Umstände bergab.
    Fünf Uhr! Zeit für die letzte Pause! Diesmal finde ich ganz unverhofft und genau rechtzeitig eine Bank. Es gibt klares Wasser, zwei Brötchen und ein Croissant. Meine Güte: Seit Kronenburg ist mir tatsächlich nichts aufgefallen, was ich hätte essen können. Selbst als Kannibale hätte ich vor Problemen gestanden. Ohne meine junge Kellnerin würde ich jetzt wahrscheinlich versuchen, Karnickelfallen aus Ästen, Laub und dem Inhalt diverser Mülleimer zu improvisieren. Nach kurzem Grübeln und in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit entschließe ich mich daher, mir telefonisch ein Zimmer in der Prümmer Jugendherberge zu sichern. Und habe wieder Glück: Nur noch wenige Minuten, dann wäre die Rezeption nicht mehr besetzt gewesen.
    Seltsam: Kurz bevor ich den 300. Kilometer meiner Reise vollende, hat irgendjemand mit Kreide das Wort »Ziel« auf den Weg gemalt. Hinter einem Örtchen mit dem seltsamen Namen Gondenbrett geht es allerdings noch einmal bergauf, und zwar nicht zu knapp. Dann ist die Fronarbeit für heute aber wirklich erledigt. Und wird auf unerwartete Weise belohnt: Kurz vor Prüm stehe ich unvermittelt vor einem riesigen Kreuz mit einer Infotafel daneben. Das Mahnmal erinnert an die Explosion eines Sprengstofflagers im Jahr 1949. Du meine Güte – der Krater ist mindestens 50 Meter tief! Kein Wunder: Die Felsen, die durch die Explosion aus dem Berg gerissen wurden, sollen halb Prüm in Schutt und Asche gelegt haben. Als ich mich dem Monument nähere, sehe ich auf dem Sockel etwas Weißes
liegen. Ein Stoffsäckchen. Es kann noch nicht lange da sein, es ist ganz sauber. Ich nehme es in die Hand. Jetzt fällt mir ein goldener Schriftzug auf: »Mein Begleiter« steht da. Ich werde neugierig. Sehe mich um. Niemand zu sehen. Klar: Ich bin in der Eifel. Mache das Beutelchen so vorsichtig auf, wie man in einen fremden Kinderwagen guckt. Darin finde ich ein billiges Kettchen aus weißen Glasperlen. Daran hängt ein kleines, perlmuttfarbenes Kruzifix. Und schon wieder passiert etwas Seltsames mit mir. Obwohl sich an meiner Meinung über Gott nichts geändert hat, bin ich von diesem Ding so ergriffen, dass ich mich glatt hinsetzen muss. Kriege die Kurve in Richtung »jetzt nur nicht losschniefen« etwa so knapp wie einen halsbrecherischen Nürburgring-Turn in einem silbernen TT mit eingeklemmten Gaspedal: Wer immer das da hingetan hat, wollte, dass es von jemandem wie mir gefunden wird. Diese Geste berührt mich sehr, Religion hin oder her. Ich stecke das Säckchen ein.
    Meine Unterkunft ist schnell gefunden. Ein brandneues Gebäude, alles glänzt und funkelt, es sieht aus, als wäre es gerade erst geliefert, ausgepackt, gewienert und angeschlossen worden. Im Restaurant sind trotz der frühen Abendstunden erst wenige Tische besetzt; an einem sitzen drei Damen, die prompt die Köpfe zusammenstecken, als sie mich entdecken. An einem anderen speist ein Pärchen, das mit gepflegten Frisuren und überaus sauberen und teuer aussehenden Outdoor-Klamotten oben rum nach Schickimicki und Flusenbürste aussieht, dazu aber durch Duschlatschen anstelle von Schuhen einen bemerkenswerten Kontrapunkt setzt. Auch sie werfen mir verstohlene Blicke zu; ich komme mir vor wie ein Trapper, der versucht, in einer Gucci-Boutique stinkende Felle zu verkaufen. Ein etwas steifer Kellner führt mich durch einen langgezogenen, verwaisten Flur zu einem Zimmer,
das mehr Schlafsaal als Kammer ist, aber außer mir heute keinen weiteren Gast beherbergen muss. Auf dem Kachelboden des Bads könnte man Schach spielen; warmes Wasser gibt es auch! Dafür geht die Heizung nicht an. Egal. Nachdem ich meine Sachen gewaschen und an die feuchte Abendluft gehängt habe – die Sonne scheint natürlich auf der anderen Seite des Gebäudes – mache ich mich noch kurz auf den Weg in die Stadt.
    Die Basilika

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