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Santiago, Santiago

Santiago, Santiago

Titel: Santiago, Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Aebli
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gegangen sein, und eine Quelle sei an der Stelle entsprungen, an der sie ihr Haupt niedergelegt habe.
Was hat es mit dieser Quelle auf sich? Wenn man in die Krypta der Kirche hinuntersteigt, stößt man auf Reste eines römischen Tempels. Die Römer aber haben ihre Heiligtümer gerne an die Stelle alter keltischer Kultstätten gesetzt. Die Kelten wiederum verehrten die Quellen. Die Geschichten über gute und unheilbringende Wässer werden uns bis Santiago begleiten. So ist es wahrscheinlich, daß dieser Ort nacheinander ein keltisches, ein römisches und ein christliches Heiligtum gewesen ist, das am Ende dieser langen Geschichte auch noch die konfessionellen Kämpfe erlebt und erlitten hat.
Woher wir das alles wissen? Aus den Büchern der Bibliothèque municipale von Aire, deren freundliche Leiterin uns Fremdlingen ohne weiteres Zugang zu ihren Beständen erlaubte, ohne Kaution und ohne Vorlage von irgendwelchen Ausweisen. Als kleines Zeichen unserer Dankbarkeit haben wir der Dame einen großen Blumenstrauß vom nahen Markt gebracht.
Auch sonst ist Aire ein sympathisches Städtchen. Die Hauptgasse ist eine Fußgängerzone, in der man gemütlich flaniert, und im Restaurant »Chez l’ahumat«, etwa »Zur rußigen Herberge«, begießt man gargantische Mahlzeiten (Entenbraten, Gänseleberpastete und so weiter) mit einem exzellenten Tursat, dem lokalen Wein. La douce France.
     

Zwischenfall in Chicoujou
25. Tag: Von Aire-sur-l’Adour nach Arsacq-Arraziguet
 
Aire-sur-l’Adour liegt am Rande eines gewaltigen Schuttkegels, der sich von der Mitte der Pyrenäen nach Norden ausbreitet. Ein Fächer von Gebirgsflüssen strömt darauf zu Tale, auch der Adour. Diese Flüsse haben sich immer wieder in die Ebenen von Kies und Sand eingegraben, die sie selbst gebracht haben. Die Täler haben darum einen treppenförmigen Querschnitt. An der kommenden Tagen werden wir uns am Rande dieses Fächers bewegen und die Stufen seiner Täler überqueren. Unser heutiges Ziel ist Arzacq-Arraziguet. Morgen kommen wir in Arthez-de-Béarn an den Rand der Ebene über dem mächtigen Gave de Pau.
Nach unseren guten Erfahrungen in Aire wandern wir aufgeräumt aus dem Städtchen hinaus, hinauf auf eine Ebene über dem Adour. Hier oben wird, genau wie im Talgrund, Landwirtschaft mit amerikanischen Methoden betrieben. Wir sehen Bewässerungsanlagen, die hundert oder zweihundert Meter lange Röhren sechs Meter über dem Boden auf Rädern langsam über riesige Felder bewegen und diese besprengen. Der Mais wird in Silos gesammelt, wie wir sie bisher nur im Mittleren Westen der USA gesehen haben. Es ist nicht die Landschaft, die wir uns wünschen. Nur in Abständen unterbricht ein Föhrenwäldchen die Monotonie der rechteckigen Felder und der geradegelegten Feldwege, denen wir folgen.
Allmählich kommen wir indessen an einen Höhenzug heran. An seinem Rande liegen die alten Dörfer. Das Wetter ist immer noch wechselhaft. Immer wieder müssen wir den Regenschutz überziehen, dann setzt der Regen wieder aus, und der Wind trocknet unsere Hüllen, nur um die nächste Wolkenstaffel heranzuführen, die uns wieder benetzt.
Im kleinen Weiler Chicoujou machen wir eine Erfahrung, die nicht zum munteren Namen des Ortes paßt. Der Regen ist so stark geworden, daß wir uns in den offenstehenden Eingang eines alten, leerstehenden Hauses flüchten. Wir schauen auf die Straße hinaus und warten. Da kommt aus einem Nachbarhaus ein älterer Herr, stellt sich drei Meter vor uns hin und fixiert uns wortlos. Von Konrad Lorenz wissen wir, was das bedeutet: die Provokation ist massiv. Er hält uns wohl für Vagabunden, mindestens für suspekte Marschierer. Ich versuche die Situation zu entspannen und sage: »Bonjour, Monsieur«. Er: »Bonjour.« Auch dieser Ausdruck ist klar. Wir sind für ihn weder Monsieur noch Dame. Es folgt wieder Schweigen, der Mann fixiert uns weiter. Ich muß nun den aufsteigenden Unmut bändigen und sage, so verbindlich ich kann: »Wir sind hier ein wenig untergestanden.« Schweigen. Inzwischen finde ich, es sei doch ein starkes Stück, und füge bei: »Sie brauchen nichts zu fürchten, wir werden das Haus nicht anzünden.« Das ist vielleicht auch nicht das Klügste, was ich sagen konnte. Jedenfalls bewirkt es nichts, er starrt mich weiter an. Was da tun? Ich versuche es so:
- Wir kommen aus der Schweiz und wandern auf dem Jakobsweg. Wenn Sie wollen, können sie unsere Pässe sehen.
Jetzt kommt eine Antwort:
- Das interessiert mich nicht.
Im Grunde

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