Santiago, Santiago
nicht.
Wie harmonisch muß eine Wanderung wie die unsrige verlaufen? Es ist nun schon fast vier Wochen gut gegangen , und es wird noch einmal zwei Monate sehr gut gehen. So liefert dieser Abend die Folie, auf der die übrigen Tage um so heller strahlen.
Wir kommen gegen sieben Uhr nach Maslacq hinunter. Zum Glück ist unsere Unterkunft angenehm und das Nachtessen gut. Beim Dessert geht es uns schon wieder besser. Es reicht sogar zu einem Abendspaziergang durch das Städtchen. Die Merkmale, die uns in Arthez aufgefallen sind, finden wir hier wieder, noch stärker ausgeprägt. Das Städtchen scheint uns so ordentlich und so liebevoll zurechtgemacht wie in unserer alemannischen Heimat. Daran ist wohl auch der Wohlstand beteiligt, den die Industrie von Lacq gebracht hat. Denn die großen Erdgasfelder von Südfrankreich befinden sich wenige Kilometer talaufwärts am Gave de Pau. Trotzdem: es gibt auch schmutzige Industriestädte. Maslacq gehört nicht zu ihnen.
Abstecher nach Orthez
27. Tag: Von Maslacq nach Orthez
Es sind nun schon neun Tage her, daß wir die Garonne überschritten haben und auf die Pyrenäen zuwandern, und wir haben die Berge noch immer nicht gesehen. Vielleicht hätten wir gestern in Arthez oben eine Chance gehabt. Aber die Luft war zu dunstig, und die Landschaft verlor sich im Süden in den endlosen Hügeln des Vorgeländes, durch die wir nun schon seit Tagen wandern. Wenn wir dem Wanderweg folgen, so haben wir noch einmal etwa zweieinhalb Tage lang die gleiche Landschaft vor uns. Und sie wird immer einsamer: auf der übernächsten Etappe gibt es über etwa 40 Kilometer auch keine Unterkunft mehr.
Es gibt eine Lösung. Wir sind nun schon nahe an dem Punkte, an dem sich der Pilgerweg von Le Puy mit den anderen beiden großen Wegen vereinigt, die aus dem Norden kommen, demjenigen von Vézelay und demjenigen von Paris. Der erste der beiden berührt die Stadt Orthez, die auch am Gave de Pau liegt. Sie ist nur etwa zehn Kilometer entfernt. Orthez ist eine interessante Stadt, das habe ich während meiner erzwungenen Ruhepausen herausgefunden.
So tun wir etwas, was auch viele Pilger der Vergangenheit getan haben: wir wechseln auf einen anderen Pilgerweg hinüber, denjenigen von Vézelay, mit Ziel Orthez. Das wäre in gut zwei Stunden zu machen, wenn wir einfach dem Gave de Pau talabwärts folgten. Aber im Tal verlaufen auch die Autobahn und eine Bahnlinie, und die Erdgasfunde haben die Industrie gebracht. Das ergäbe keine erfreuliche Etappe. So beschließen wir, auf der Südseite des Tales über die Höhen nach Orthez hinunterzuwandern.
Am Dorfausgang kommen wir an der Ortskirche vorbei. Wir versuchen, einen Blick in ihr Inneres zu werfen, aber sie ist geschlossen. Statt dessen schaue ich mir die Grabsteine des Kirchhofes an: Was gibt es hier für Namen? Wie sieht die lokale »Grabkunst« aus? Nichts Auffälliges. Es sind die üblichen größeren und kleineren Monumente, die man auf französischen Kirchhöfen findet. Auf jedem Grab das Kreuzzeichen. Aber halt, das stimmt nicht. Auf diesem Grab fehlt es, daneben auch, nein, es gibt hier eine ganze Reihe von Gräbern ohne Kreuz. Sie liegen an der Friedhofsmauer, etwas abgesondert von den übrigen. Kein Kreuz, dafür auf jedem Stein ein Bibelspruch. Diese wiederum sind selten auf den Gräbern mit den Kreuzen. Kombiniere: das müssen die Gräber der Protestanten von Maslacq sein. Die Konfessionen scheinen hier noch geschieden, der historische Gegensatz ist noch virulenter als bei uns in Mitteleuropa. All das sind natürlich nur Vermutungen. Wir werden in Orthez die Augen offenhalten.
Dann versuchen wir den Aufstieg auf die Höhen am Talrand, vorerst ohne Erfolg. Die Karte stimmt nicht mehr, unser Sträßchen endet diesmal nicht in einer Kies-, sondern in einer Abfallgrube. Der zweite Versuch ist erfolgreicher. Der Weg ist zwar nicht auf der Karte, aber wir gewinnen an Höhe. Da geht es nun auf einem angenehmen Sträßchen nach Westen, leider allerdings wieder im Regen und ohne jede Fernsicht. Wo bleiben die Pyrenäen? Wir kommen an Einzelhöfen mit Enten- und Gänseherden vorbei: da kommen die Entenbraten und die Gänseleberpastete her, die man hier unten liebt.
Nach zwei oder drei Dörfern geht es auf einen Wald zu, und auf der Karte ist nur noch ein einfacher Strich als Fortsetzung des Weges gezeichnet. Werden wir wieder in die Dornen geraten und am Schluß umkehren müssen? Ich versuche abzuschätzen, wie wichtig die Verbindung für die Dorfbewohner
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