Santiago, Santiago
ist das Gespräch zu Ende. Aber mein Gegenüber steht weiter vor uns. Wir wissen natürlich, daß wir im Gang eines fremden, wenn auch alten und unbewohnten Hauses stehen. Ich mache einen letzten Versuch.
- Es ist heute ein nasser Tag. Auf den kleinen Wegen ist nicht gut gehen.
Jetzt habe ich doch noch das rechte Wort getroffen, es kommt ein Echo.
- Die Wege sind auch schlecht.
Ich pflichte bei, so diplomatisch ich kann.
- Nicht überall, wir haben sehr schöne Wege angetroffen.
Die Geschichte hat keinen runden Schluß. Der Mann geht weg, setzt sich vor seinem Haus in sein Auto und beobachtet uns von dort während der weiteren Viertelstunde, die wir im Hauseingang ausharren.
Der Vorfall läßt einen bitteren Nachgeschmack zurück. Wir fragen uns, ob es wirklich so etwas wie ein Recht des Wanderers gebe, bei Regen im Eingang eines leerstehenden Hauses Schutz zu suchen, oder ob wir unrecht gehandelt haben. Wir spüren etwas von der Ungesichertheit des Wanderers im fremden Land, auch wenn wir nicht wirklich bedroht gewesen sind. Vielleicht hat uns die Erfahrung gut getan, denn der moderne Mensch wiegt sich wohl allzu oft in einer Sicherheit, die nicht echt ist. Das Hinausgeworfen-Sein in eine Welt der Gefährdung gehört zur menschlichen Bedingung.
In der Folge hellen sich sowohl der Himmel als auch unsere Stimmung auf. Wir kommen durch das freundliche Dorf Miramont-Sensacq, und dann führt das Sträßchen in ein grünes Tal, an dessen Bach einst eine Mühle stand. Zuletzt ist sie noch als Sägerei betrieben worden, und auf einem Stapel von Baumstämmen halten wir Mittagsrast. Dann folgen wir dem Tälchen aufwärts. Gerade wie die nächsten großen Tropfen zu fallen beginnen, kommen wir zur einsamen Kirche von Sensacq und retten uns vor dem einsetzenden Regenschauer in ihr Inneres.
Am Eingang steht ein großes Taufbecken, in das der Täufling noch ganz eingetaucht wurde: die Kirche muß sehr alt sein. Das Querschiff mit drei runden Absiden ist aus schönen Quadersteinen sorgfältig gebaut; es war ursprünglich eine bedeutende Kirche. Allerdings ist das Hauptschiff einmal ganz zerstört worden, denn es ist aus Bruchsteinen ziemlich primitiv rekonstruiert und mit einem einfach gezimmerten und zu niedrigen Dach gedeckt. Aber die alte, hohe Glockenmauer steht noch, sie hat die Zerstörung offensichtlich überstanden. Wer hat die Kirche wohl erbaut? Sie könnte zu einem verschwundenen Kloster gehört haben. Ein Kirchhof mit rezenten Gräbern liegt neben der Kirche. Er dient wohl den Einzelhöfen von Sensacq. Wir können uns nicht vorstellen, daß die Kirche von den Bauern der Umgebung errichtet worden ist. Solchen Gedanken hängen wir nach, während der Regen auf das Kirchendach trommelt und es da und dort auf den Boden zu tropfen beginnt. Ein willkommener Moment der Stille.
Dann geht das Gewitter, wie es gekommen ist, und wir wandern weiter. Auf der nächsten Höhe erreichen wir eine Bastide, wie wir sie nun schon mehrmals angetroffen haben. Während die Zähringer in unseren Breiten ihre Städte und Städtchen gründeten, bauten die Herren der Gascogne an den strategischen Punkten ihres Landes die Bastiden. Pimbo ist ein solcher Ort über dem Tal des Gabas. Er ist am Aussterben. Obwohl malerisch gelegen, mit alten Häusern, die man trefflich restaurieren könnte, ist niemand da, der es tun wollte. Es wohnen nur noch einige alte Menschen im Städtchen.
Dabei steht an einem eindrucksvollen Platz eine großartige alte Kirche, und es gibt auch noch Befestigungen der Engländer aus dem Hundertjährigen Krieg. Also weiter. Es geht wieder abwärts, an den Gabas hinunter, dann wieder hinauf auf eine neue Ebene. Über ihr erkennen wir schon die Dächer von Arzacq.
Bei einem liebevoll restaurierten Landhaus bleiben wir stehen. Da kommt mit einem Schubkarren voll Abfall sein Besitzer heraus. Wir fragen ihn, was ihn bewegt habe, an seinem Hof eine Tafel mit der Distanz nach Santiago de Compostela anzubringen (»813 km«),
- Keine besonderen Gründe. Es kommen hier so viele Pilger vorbei, das macht ihnen Freude...
Das können wir bestätigen. Ein Wort gibt das andere, und am Schluß sitzen wir in seiner Stube bei einem Glase des lokalen, weißen Tursan. Maurice ist kein Bauer, sondern Turnlehrer an der Realschule des nahen Arzacq, aber er stammt aus der Gegend und kennt ihre Probleme. Ich muß etwas auf eine weiße Tür des Raumes schreiben und zeichnen, und Verena trägt uns in sein Pilgerbuch ein.
Nach einer halben Stunde
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