Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Santiago, Santiago

Santiago, Santiago

Titel: Santiago, Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Aebli
Vom Netzwerk:
der mittelalterlichen Pilgerstraßen war die Brücke so positioniert, daß sie den Santiagopilgern jeglicher Herkunft diente. Denn in Puente la Reina vereinigte sich auch noch der letzte französische Pilgerweg mit den dreien, denen wir bisher begegnet sind. Über das untiefe Tal, das man von der Höhe der Sierra del Perdón vor sich erblickt, erreichten die Pilger, die die Pyrenäen weiter östlich überschritten hatten, Puente la Reina. Es ist der Weg aus der Provence, von Avignon, Arles und Nîmes her. Er wurde vor allem auch von den italienischen Pilgern benützt, die aus der Poebene und von Genua in die Provence gewandert waren. Sie zogen über Toulouse, Auch und Oloron zum Somport-Paß hinauf und von dort ins Königreich Aragon hinunter. Vom stolzen Jaca aus, das die Mauren schon zu Ende des 8. Jahrhunderts zurückgeschlagen hatte, wanderten sie dann durch die südlichen Vorberge der Pyrenäen nach Westen und stießen nach etwa drei Tagen auf ihre Mitbrüder, die unseren Übergang gewählt hatten.
Am späten Nachmittag sind wir soweit erholt, daß wir uns das Städtchen ansehen können. Es ist ein heißer Tag, auch noch gegen vier Uhr. In der schattigen Kühle der Altstadt atmen wir auf, froh, dem Druck des gleißenden Lichtes entkommen zu sein. Wir treten durch einen Kreuzbogen, der ein großes altes Gebäude und eine Kirche über der Straße verbindet, in die Stadt ein. Es ist das ehemalige Pilgerhospital. Hermann Künig hat es gekannt:
 
Uber zwo myl komestu gen Ponteregina
Darinne findestu eyn spital darinne magstu ghen
Auch findestu eyn hübsche brücken da steen.
 
Es ist noch Siestazeit, und in den Gassen herrscht sonntägliche Stille. Wir schlendern durch die Hauptgasse und stoßen auf die »Brücke der Königin«. Sie steigt und fällt über sechs romanische Bogen. Durch das dunkle Brückentor treten wir auf die mit runden Flußsteinen gepflästerte, schmale Fahrbahn. Unten zieht der Río Arga mit wenig Wasser ruhig dahin.
Aus dem südlichen Stadtgraben hat man eine Esplanade mit Bäumen und Bänken gemacht. Wie wir zurückschlendern, machen sich die ersten Männer zum Kugelspiel unter den Platanen bereit, und die Frauen haben die Eisenstühle zum nachmittäglichen Stelldichein zusammengerückt. Bald wird hier der Sonntag friedlich ausklingen.
     

Die Zigeunerin
36. Tag: Von Puente la Reina nach Estella
 
Es dämmert eben, wie wir die alte Stadt hinter uns lassen. Die Luft ist nun schon in der Frühe klar und durchsichtig. Unser Weg folgt der Talebene des Río Arga. Vor uns liegen mittelhohe Berge mit malerischen Felsen. Die Ebene ist fruchtbar, Auenwäldchen von Gebüsch und Pappeln begleiten den Fluß. Nach einigen Kilometern biegt er nach Süden ab. Unser Ziel, Estella, liegt im Westen, darum müssen wir durch einen Hang von roter Erde aus dem Tal hinaussteigen. Mit dem Aufstieg verändert sich die Pflanzenwelt: am Wegrand wachsen nun die wilden, wohlriechenden Pflanzen des Südens: Lavendel, Fenchel, Thymian, große Rosmarinsträucher. Brombeeren wuchern über Hausruinen. Schafe weiden zwischen den Sträuchern des Abhanges.
Dann kommen wir auf die Ebene hinauf und sehen vor uns eine Stadt im goldenen Licht des Morgens. Sie liegt auf einem Hügel, die Kirche ragt über die Dächer. Durch Rebberge kommen wir auf den Ort zu und steigen durch die steilen Gassen zu seiner Mitte auf. Frauen gehen zum Einkaufen, vor einigen Häusern bereiten die Handwerker ihre Arbeit vor.
Beim Abstieg auf der anderen Seite fällt uns die urtümliche Beschaffenheit des Weges auf: wir gehen auf einem sorgfältig gelegten, aber sehr groben Kopfsteinpflaster mit einem flachen Mittelstreifen. Links und rechts ist es durch ein Band von großen, viereckigen Platten abgeschlossen, von denen jede wohl einen Zentner schwer ist. Es ist ein Stück Römerstraße. Sie hat nicht nur den römischen Soldaten und Händlern gedient, sondern noch während Jahrhunderten den Einwohnern von Cirauqui — so heißt das Städtchen — und den Pilgern, die hier durchgekommen sind. Mit der Zeit ist das Pflaster unter Schmutz und Erde verschwunden, jetzt hat man es wieder abgedeckt. Unten ist der Belag durcheinander. Die Archäologen haben sich offenbar nicht zugetraut, ihn zu restaurieren. Die Steine sind ihnen wohl zu schwer gewesen.
Vor der gemauerten Bogenbrücke am Fuße des Hügels steht eine Tafel: »No passar«. Ihr Belag und die Seitenmauern sind weg. Aber man kann noch über den tragenden Bogen gehen. Daher interpretieren wir den Text

Weitere Kostenlose Bücher