Santiago, Santiago
Züge mehr verkehren, der aber als Bushaltestelle dient. Etwa um 8.05 Uhr gibt es da auch die Fahrkarten für den Autobus, der über Arcos und Viana an den Ebro hinunter fährt. Eine Viertelstunde später fahren wir aus der Stadt hinaus, und noch einmal eine Viertelstunde später sind wir in Arcos. Zu Fuß hätten wir dorthin einen halben Tag gebraucht.
Arcos ist ein freundliches kleines Städtchen an der Straße nach Logroño, das keine touristischen Attraktionen aufzuweisen hat. Das Bemerkenswerteste ist der Name des Hotels, in dem wir unterkommen: »Ezechiel«. Doch damit ist nicht der Prophet gemeint, sondern ganz einfach der Name des Besitzers.
Wir benützen die Gelegenheit, den ersten Bund spanische und die letzten französischen Landkarten in die Schweiz zurückzuschicken. Die Poststelle von Arcos nimmt unsere Sendung anstandslos entgegen, und dies, obschon wir den Posthalter zwischendurch im nahegelegenen Café antreffen. Die spanischen Beamten scheinen die Reglemente nicht nach dem Buchstaben, sondern sinngemäß zu interpretieren.
Gestärkt und ausgeruht marschieren wir am nächsten Morgen um sechs Uhr durch ein kleines Tor in der Stadtmauer von Arcos in die dunkle Landschaft hinaus. Am Himmel hinter uns steht der Viertelmond und wirft unsere Schatten auf das helle Sträßchen. Über uns dehnt sich noch der Sternenhimmel, aber der Gesang der Grillen verstummt allmählich. Es ist ein gutes Wandern in der Kühle des Morgens.
Das Sträßchen zieht zielstrebig nach Südwesten. Am Anfang ist es sehr gut, aber mit der Zeit wird es ziemlich löchrig. Wir können in der Dunkelheit nicht einfach mehr drauflosmarschieren, müssen vorsichtig gehen, bereit, die Unebenheiten auszugleichen. Das tut dem Körper gut, erhält ihn elastisch und anpassungsfähig. Es ist das ganzheitliche Gehen der jungen Hunde. Man weiß: Junge Hunde stolpern nicht.
Gegen sieben Uhr wird der Himmel im Osten blauer. Der Morgen kündigt sich an. Die Sterne verblassen. Wir beginnen die Landschaft zu erkennen: vor und hinter uns eine flache Horizontlinie, rechts und links Silhouetten von Bergen. Auch die Pflanzen in unserer Nähe zeichnen sich nun ab: hohe, dürre Gräser und Disteln am Wegrand, am Boden liegende Reben in Weinbergen, die man aufgegeben hat. Vor uns leuchtet immer noch ein roter Stern. Es könnte der Planet Mars sein.
Nun erhalten die Wolken vor uns einen roten Schein, und ihre Formen zeichnen sich ab. Schließlich ist es ganz hell, aber die Morgensonne erscheint nicht, denn auch am östlichen Horizont liegen Wölken. Das Erdsträßchen schlängelt sich weiter durch Felder und Rebberge. Wir überqueren seichte Bachtäler, die alle nach links zum Ebro abfallen. Dann senkt sich auch unser Weg über verwilderte Weiden, vorbei an Zwergeichen und kleinen Stechpalmen. Wir folgen einem Bach, an dessen Seiten üppige Sträucher und Pappeln wachsen. Die Heckenrosensträucher sind voll von roten Hagebutten, und die Brombeerstauden tragen reife, schwarze Beeren. Aber wenige Meter weiter oben wird die Pflanzenwelt schon wieder karg, mit Disteln und hohen, trockenen Gräsern.
Endlich erkennen wir in der Ferne die Stadt Viana, unser heutiges Ziel. Es geht gegen Mittag, die Sonne ist nun doch durchgedrungen, und die Hitze steigt. Die Markierer des Jakobsweges brocken uns noch zwei Kilometer Asphaltstraße ein, dann sind wir in der Stadt.
Viana liegt auf einem länglichen Hügel. Ich habe mir den Ort immer als eine romantische alte Stadt vorgestellt und bin nun ein wenig enttäuscht. Es sind nicht mehr als drei parallele, etwa vierhundert Meter lange Häuserzeilen. Die Befestigungen existieren nicht mehr, und die Häuser sind nicht sehr gut erhalten. Die Kirche am Hauptplatz sieht interessant aus, aber sie ist geschlossen, obwohl sie das Grab des berühmten und berüchtigten Cesare Borgia, des Bruders der Lucrezia und Vorbildes des Fürsten von Macchiavelli, enthält.
In Viana gibt es kein Hotel. Aber wir finden in einer kleinen Pension Unterkunft. Das verschafft uns zum ersten Mal Einblick in eine spanische Familie. Die Wirtin ist eine tüchtige Frau, die nebenbei einen kleinen Gemüseladen betreibt. Ihr Mann arbeitet nicht mehr, vielleicht ist er arbeitslos. Die Zimmer sind sauber, und in jenem barocken Stil möbliert und geschmückt, den die einfachen Leute in Spanien lieben. Wir haben ihn schon in den Schaufernstern der Möbelgeschäfte wahrgenommen. Frau Chavarri kocht uns ein ausgezeichnetes spanisches Mittagessen.
Anschließend erhält
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