Santiago, Santiago
erinnern an die Tessiner Häuser. Die Atmosphäre wird südlicher.
Weniger romantisch ist das wütende Hundegebell, daß uns vor den Häusern entgegentönt. Ich bin froh, daß ich mir gestern einen soliden Stock geschnitten habe. Er stützt mein Selbstvertrauen angesichts dieser neuen Bedrohungen. Aber es kommt zu keinen tätlichen Auseinandersetzungen. Die Hunde sind mit sicheren Ketten an ihre Hütten gebunden. Ihre Besitzer sind nicht wie die Emmentaler Bauern gegen Haftpflicht versichert, und sie nehmen das lächerliche Verhalten der verschreckten Wanderer nicht wie diese als willkommene Abwechslung im bäuerlichen Alltag.
Das Glück des morgendlichen Wanderns auf dem alten Talweg nimmt nach einer Stunde ein Ende, und der bezeichnete Wanderweg wechselt auf die Autostraße hinüber. Es ist zwar Samstag, darum herrscht hier noch wenig Verkehr. Doch die Straße ist hart, und wenn ein schwerer Laster daherdröhnt, nimmt er in der Regel wenig Rücksicht auf arme Pilger. Die drücken sich ängstlich an den Wegrand.
Darum sind wir froh, daß der Weg nach einigen Kilometern von der Straße weg am rechten Talhang hinaufsteigt. Wir blicken nun in eine dunstige Ebene hinaus. Dort muß irgendwo Pamplona liegen. Dahinter ahnt man eine weitere Bergkette. Das spanische Scheidegebirge verläuft in mehreren parallelen Zügen, zwischen denen weite Ebenen eingelagert sind.
Gegen Mittag führt der Weg über den rechten Hang aus dem Tal des Río Arga hinaus, und wir überschreiten einen niedrigen Sattel. Hier ist das Sträßchen plötzlich asphaltiert. Das muß die Nähe von Pamplona sein. Wir kommen in ein anderes Tal hinunter und stoßen auf eine großartige gemauerte Brücke und einen gestauten Fluß, der über eine Schwelle hinunterrauscht. Dahinter führt die Brücke direkt unter die Arkaden eines alten Gebäudes mit angebauter Kapelle. Es ist ein altes Hospital, La Trinidad de Arre. Wir sind hier in Villava, am Rande von Pamplona.
Der Schluß der Etappe würde durch eine wenig attraktive Landschaft von Benzintankstellen, Garagen und Fabriken ins Zentrum von Pamplona führen. Als Hermann Künig um 1495 hier vorbeikam, muß es noch anders ausgesehen haben. Er schreibt:
Dan komestu in eyn stat heist Pepelonia
Und wan du komest über die brücken
Da magstu in eyn spital rucken
Darinne gybt man wyn und brot.
Uns führt der städtische Autobus über die Brücke des Río Arga. Wir entsteigen ihm bei der Stierkampfarena und finden im 6. Stock eines großen Hotels ein Zimmer. Auch dieses entspricht nicht ganz dem Stil unserer Wanderung. Aber sein Bad ist nach der staubigen Etappe heute Gold wert.
Pamplona ist eine laute, geschäftige Stadt. Menschenströme ergießen sich durch die engen Straßen. Vorerst fragen wir uns ein wenig besorgt, wann wohl die nächste Terroristenbombe losgehe, merken dann aber rasch, daß wir wohl die einzigen sind, die solche Überlegungen anstellen. Jedenfalls sind der viereckige, von repräsentativen Häusern eingeschlossene Hauptplatz der Stadt und die Restaurants, die ihn säumen, an diesem Samstagabend übervoll von Menschen. Ihre Stimmen verschmelzen hier zu einem tönenden Chor, der von den vier Häuserfassaden verstärkt zurückhallt. So lassen wir uns von der allgemeinen Animation anstecken und vergessen unsere Befürchtungen. Andere Teile der Stadt sind ruhiger. Von den mächtigen Schanzen blicken wir über die Ebene nach Norden zurück auf die Berge, aus denen wir herausgewandert sind. Am morgigen Sonntag werden wir mit dem ersten Bus an den Südrand der Stadt fahren und über den Gebirgszug, der die Ebene von Pamplona im Süden abschließt, nach Puente la Reina, zur Brücke der Königin, wandern.
Offene Fragen an der Sierra del Perdón
35. Tag: Von Pamplona nach Puente la Reina
Etwa 25 Kilometer von Pamplona entfernt liegt das Städtchen Puente la Reina, unser neues Ziel. Die Frau des Königs von Navarra, Sanchos des Großen, soll hier kurz nach dem Jahre 1000 eine Brücke gestiftet haben. Sie wollte den Pilgern den Übergang über den Fluß Arga erleichtern.
Um nach Puente la Reina zu gelangen, müssen wir den Gebirgszug übersteigen, den wir gestern noch über dem Dunst der Ebene als ferne Silhouette ausgemacht haben: die Sierra del Perdón. Am Schluß sind wir wieder am Fluß Arga, dem wir schon am Vortag gefolgt sind. Er weicht der Sierra del Perdón in einem großen Bogen aus und fließt dann nach Süden dem Ebro zu. Die Pilger überschritten den Río Arga auf der »Brücke der
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