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Santiago, Santiago

Santiago, Santiago

Titel: Santiago, Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Aebli
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hinunterblicken. Er ist auch im Spätsommer und 300 Kilometer von seiner Mündung ins Mittelmeer ein ansehnlicher Fluß, mit kleinen Kiesbänken und Schilfstreifen am Ufer.

Die Stadt selbst ist laut und betriebsam wie die meisten spanischen Städte. Im Kern macht sie einen wohlhabenden Eindruck. Hier laufen die Fäden des Weinbaus der Ríojalandschaft zusammen. Wir wollen uns aber nicht aufhalten, sondern nehmen den Bus aus der Stadt hinaus. Nach einigem Suchen finden wir den markierten Weg in der Industriezone wieder und wandern aus dieser hinaus. Der Feldweg steigt allmählich an, und wir kommen durch den ersten lichten Wald von Schirmpinien. Aber dann mündet er auf die dreispurige Autostraße nach Burgos, und es gibt kein Ausweichen mehr: wir müssen ihr über etwa vier heiße und gefährliche Kilometer folgen. Denn die Lastfahrer sind nicht zimperlich, und sie scheinen zu meinen, Fußgänger hätten rechts zu gehen. Jedenfalls lassen sie sich durch den Stock, den ich auf der Seite der Fahrbahn ostentativ schlenkere, nicht beeindrucken, und wir müssen uns immer wieder an die Leitplanke drücken.
In der Mitte dieser Strecke kommen wir auf einen Sattel und sehen vor uns, jenseits einer kleinen Mulde, das Städtchen Navarrete an einen Hügel hingeschmiegt. Dahinter dehnt sich die hügelige Senke, durch die der Jakobsweg nach Burgos und an den Rand der Meseta hinüberführt. Links davon, im Süden, erheben sich hohe, waldige Berge, wohl auf etwa 1500 Meter Höhe.
Es ist inzwischen Mittag, und die heiße Luft flimmert über dem Asphalt. Es geht weiter auf der Autostraße. Unsere Hände sind geschwollen, und der Rucksack klebt an den nassen Rücken. Wir sind beide verstummt. Es geht darum, den letzten Teil der Prüfung in Würde zu bestehen.
Nach einer langen Dreiviertelstunde sind wir im Städtchen. An der Haltestelle steigen gerade die Spanier aus dem Bus, und so kommen an der Bar, die dahinterliegt und in die auch wir eintreten, zuerst die rechten Leute dran. Es gibt uns Zeit, die Rucksäcke abzulegen, die Stöcke dazuzustellen und den Schweiß abzuwischen. Dann fließt eine Mischung von Traubensaft und Mineralwasser wonniglich durch unsere Kehlen, und nach einer halben Stunde sind wir bereit, nach einer Unterkunft zu suchen.
Navarrete hat kein Hotel. Aber es gibt ein von einem Orden geleitetes Berufsbildungszentrum, das in seinem Gästehaus eine Unterkunft für Pilger führt. Dahin gelangen wir über den Fußballplatz, der im Augenblick allein belebt ist — eine Mannschaft von Jugendlichen trabt unter dem strengen Blick ihres Trainers brav über den gelb-braunen Rasen. Ein freundlicher Fraile zeigt uns die Schlafräume im Nebengebäude, zieht sich aber dann rasch zurück. Es gibt auch ein Badezimmer und eine kleine Küche. Wir sind die einzigen Gäste. Verena wirft prüfende Blicke auf die Matratzen der Doppeldecker-Betten, und ich ergreife einen Besen. Dann schütteln wir vor dem Haus noch die Wolldecken und entlocken ihnen dichte Staubwolken. Aber es ist kühl im Haus, und wir erholen uns rasch von den Strapazen und Aufregungen des Tages.
Gegen Abend unternehmen wir einen Rundgang durch die Stadt. Sie hat heute noch etwa 2000 Einwohner. Ihre Häuserzeilen liegen wie Zwiebelschalen konzentrisch am runden Hügel. Die Oberstadt ist die Wohnstadt, mit niedrigen, höchstens zweistöckigen Häusern. Die Frauen sitzen auf Stühlen auf der Straße und genießen die aufkommende Kühle des Abends. Die Männer haben sich zu einem Glas Wein in den Gaststätten versammelt, und lautes Stimmengewirr dringt aus deren Innerem.
Die Stadtkirche ist offen. Es ist ein hoher gotischer Bau, Hauptschiff und Chor. Im letzteren steht ein Barockaltar, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Er reicht bis in den Scheitel des Chorgewölbes hinauf, halb selbständige Konstruktion, halb Wandverkleidung, ein Werk von großem Reichtum.
In der Pilgerherberge verbringen wir eine gute Nacht. Nur schade, daß wir ganz allein sind und keine anderen Pilger kennenlernen.
     

Begegnung mit Roland, dem Steinwerfer
39. Tag: Von Navarrete nach Nájera
 
Der Tag beginnt wieder mit einer Stunde Marsch auf der Nationalstraße. Unmut steigt in uns auf. Wer sind die Unglücksraben, die den Wanderweg auf die breite Autostraße gelegt haben? Welche Überlegungen haben ihre Rabenhirne bewegt — oder nicht bewegt? Aber nein, es sind sicher keine Rabenhirne. Wahrscheinlich sind es gebildete Spanier in dunkeln Anzügen oder in Soutanen, wohl der »Unterausschuß

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