Santiago, Santiago
Frau Chavarri Besuch von einer jungen Spanierin aus Logroño. Sie empfängt sie im Wohnzimmer, in dem uns das Essen serviert worden ist, und wir wohnen deshalb der Begegnung der beiden Frauen bei. Die Besucherin gehört den Zeugen Jehovas an, entspricht im übrigen aber gar nicht dem angelsächsisch getönten Bild, das wir uns von den Mitgliedern dieser Gemeinschaft gebildet haben: die junge Frau hat schwarze Locken, dunkelbraune Augen, die lebhafte Diktion und Gestik der Spanierin. Sie versucht Frau Chavarri geduldig und auf ihre Weise kompetent, mit immer neuen Verweisen auf die Bibel, für die Überzeugung ihrer Gemeinschaft zu gewinnen. Sie interessiert sich auch für uns und ist begeistert, als wir ihr erklären, daß uns die Zeugen Jehovas wohlbekannt sind.
Zwei Dinge beeindrucken uns: die aufmerksame und respektvolle Art, in der Frau Chavarri der jungen Frau zuhört, und die Kraft, mit der diese für ihre Überzeugung wirbt. Sie hat ihre Sekretärinnenstelle aufgegeben, um Zeit für die neue Aufgabe zu finden, und sie verdient ihren Lebensunterhalt mit einer Teilzeitarbeit im Gastgewerbe. Auch ein Stück Spanien, und ein Indiz für die Probleme der Seelsorge in der offiziellen Kirche dieses Landes.
Heißer Asphalt vor Navarrete
38. Tag: Von Viana über Logroño nach Navarrete
Heute werden wir den Ebro überschreiten und das erste Wegstück in Richtung Burgos in Angriff nehmen: es geht vorwärts. Bei Dunkelheit wandern wir noch einmal durch das Städtchen, das jetzt ganz still und menschenleer ist, und kommen an seiner Südseite auf die alten Bastionen hinaus. Von der Höhe sehen wir in die dunkle Talebene des Ebro. Sie ist hier viele Kilometer breit. Auf der gegenüberliegenden Seite ist eine feine Kette von Lichtern sichtbar, sie könnten von Logroño her leuchten.
Wir steigen zum Fuß des Stadthügels ab, suchen mit der Taschenlampe die gelben Wegzeichen und folgen ihnen auf die dunkle Ebene hinaus. Das Sträßchen verwandelt sich bald in einen Feldweg, der von Zeit zu Zeit noch ein wenig abfällt. Jetzt sind es nur noch Traktorenspuren, die aus einem Feld in ein Nachbarfeld hinunterführen. Da teilt sich der Weg. An einem Busch oder Baum am Rande eines der Wege müßte man ein Wegzeichen finden, entweder eine Farbmarkierung oder einen gelben Plastikstreifen. Verena sucht da, ich dort.
- Siehst du etwas?
- Nein, und du?
- Auch nichts.
Wir finden kein Zeichen, auch nicht beim Zurückgehen um einige hundert Meter. Wir haben in der Dunkelheit eine Abzweigung verpaßt. Also noch weiter zurück? Wir entscheiden dagegen, sagen uns, wir brauchen ja nur auf die Lichter am Rande der Ebene zuzugehen. Das geht eine Zeitlang ganz gut, aber dann beginnen alle Wege nach Osten abzubiegen. Inzwischen ist es zum Glück hell geworden, und wir entdecken in einem Maisfeld zwei Landarbeiter, die wir nach dem Weg nach Logroño fragen. Wir bekommen die Antwort, die wir in Spanien noch manches Mal erhalten werden: zurück zur Autostraße und auf dieser nach Logroño. Mehr wissen die beiden Männer auch nicht. Sie sind hier, topographisch gesprochen, genauso verloren wie wir. Man hat sie von weither auf einem Lastwagen auf dieses Feld geführt, und hier wird man sie am Abend wieder abholen.
Der Rat ist nicht nach unserem Geschmack, so versuchen wir es noch einmal in Richtung Südwesten. Aber nach einiger Zeit ist es endgültig aus: wir sind am Rande eines sumpfigen Gebietes mit Schwärmen von Wasservögeln, ein Naturreservat, wie wir später erkennen.
Wie sollen wir es umgehen? Wir sind ziemlich ratlos, denn auf unserer veralteten Karte ist das Sumpfgebiet nicht verzeichnet. Aber wir haben Glück: Ein Bauer kommt auf dem Traktor dahergefahren, und er kennt sich hier aus: wir müssen das Sumpfgebiet rechts umgehen. Wie wir wieder auf dem bezeichneten Weg nach Logroño sind, haben wir eine gute Stunde verloren, und das werden wir in der Hitze des Mittags noch bitter bereuen. Aber das Schauspiel der vielen verschiedenen Wasservögel in einer Landschaft von Weihern, kleinen Seen mit Schilf und malerischen Baumgruppen entschädigt uns vorläufig für die Irrfahrt. Denn sonst sieht man in diesem Lande nicht manchen Vogel. Die Spanier sind leidenschaftliche Jäger, und der Naturschutzgedanke ist hier erst in seinen Anfängen. In der Nähe der Straße tauchen nun Industriegebäude auf, wir nähern uns der Provinzhauptstadt Logroño. Bald sind wir auf der Brücke, die in die Stadt hinüberführt, und können auf den Ebro
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