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Santiago, Santiago

Santiago, Santiago

Titel: Santiago, Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Aebli
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Wegmarkierung« einer Vereinigung zur Förderung des Jakobsweges. Sie haben diesen viel getreulicher rekonstruiert als ihre französischen Kollegen. Doch da, wo die mittelalterliche Straße verlief, verläuft heute eben häufig die Autostraße. So folgen wir zwar dem historischen Weg, jedoch auf einer Straße, die mit seiner alten Beschaffenheit wenig gemein hat.
Die Tradition des Wanderns steckt in Spanien noch in ihren ersten Anfängen. Das Gehen zu Fuß ist die Fortbewegung des armen Mannes — und des Pilgers — geblieben. Wanderhosen, Bergschuhe und rote Socken sind dem Vorstand der Amigos del Camino de Santiago wohl noch fremd...
Endlich zeigt der gelbe Pfeil von der Autostraße weg auf ein Natursträßchen. Es ist inzwischen hell geworden, und wir erkennen am Wegrand die blauen Sterne der Wegwarte. Die Erde ist rot und fein, und Ortsnamen wie »Hornos« und »Hornillos« (Fornos, Brennöfen) zeigen, daß hier getöpfert wird. Wir steigen durch alte, terrassierte Rebberge und schließlich durch verwilderte Weiden mit Gebüsch und Maquis zu einem kleinen Sattel auf, Alto de San Antón. Der Name deutet an, daß hier eine Pilgerherberge gestanden hat. Ihre Ruinen sind abseits vom Weg im Gebüsch versteckt. In mir regt sich der archäologische Instinkt. Zu gerne wäre ich einmal bei der Ausgrabung eines solchen Hauses dabei. Aber wir müssen weiter.
Vor uns liegt nun eine bewegte Hügellandschaft mit viel Reben und Getreidefeldern. Von der Stadt Nájera, unserem heutigen Ziel, sehen wir noch nichts, denn auf halbem Weg erhebt sich ein markanter Hügel. Er heißt »Rolandshöhe« — Poyo de Roldán. Roland soll, so berichtet die Sage, von diesem Hügel aus den Riesen Ferragut, den Sohn Goliaths, vor der Burg von Nájera erspäht haben. Da habe er einen halbzentnerschweren Stein ergriffen und ihn dem Riesen vier Meilen weit entgegengeschleudert, ihn auf die Stirn getroffen und zur Strecke gebracht. Die Wurfleistung überrascht uns nicht, denn wir haben schon auf dem Wege nach Zubiri den Stein angetroffen, der die Länge von Rolands Schritten gezeigt hat, und wir wissen natürlich auch, daß er sich in Roncesvalles mit wenigen befreundeten Recken zusammen über Tage hin erfolgreich gegen Zehntausende von Mauren gewehrt hat...
Die Fernsicht muß in diesen historischen Tagen besser gewesen sein. Wir sehen heute wenig weit, und dann sieht es sogar nach Regen aus, so daß wir in einem offenen Rebhäuschen Schutz suchen müssen. Doch es kommt nicht so weit.
Mit der Zeit wird die Stadt Nájera sichtbar. Sie liegt am Fuße eines Abbruchs von steilen, roten Felsen. Auf dem Wege dorthin gehen die Felder allmählich in ein bescheidenes Industriegebiet über. Wir durchwandern es und kommen in die Vorstadt. Viele Häuser sind verlassen und eingestürzt. Aber allmählich belebt sich die Straße, sie wird enger, und dann stoßen wir an den Fluß Najerilla, hinter dem die mittelalterliche Stadt liegt. Sein Bett ist breit, Anfang September zieht sich jedoch nur ein bescheidenes Rinnsal zwischen den Kiesbänken hin, und Esel weiden auf dem spärlichen Grün, das zwischen den Steinen sprießt. Am Ufer des Najerilla liegt unsere heutige Unterkunft, das »San Fernando«.
Im 10. und 11. Jahrhundert war Nájera die Hauptstadt eines Königreiches mit dem gleichen Namen, ein Frontstaat an der Grenze des arabischen Spanien sozusagen. Die Sage von Rolands Tat ist sicher in diesem Kontext entstanden. Die lokale Sehenswürdigkeit, die Klosterkirche Santa María, nennt sich heute noch »die königliche«. Hinter der gotischen Kirche ist eine Reihe von Königsgräbern in den Felsen eingelassen. Das Prunkstück des Klosters, ein spätgotischer Kreuzgang, spricht uns weniger an. Er ist zu nobel und zu perfekt. Den Geist des Menschensohns vermögen wir darin nicht mehr zu entdecken.
     

Die Schwester lehrt mich buchstabieren
40. Tag: Von Nájera nach Santo Domingo de la Calzada
 
Der Ausgangspunkt zum Übergang nach Burgos ist Santo Domingo de la Calzada. Bis zu dieser Stadt möchten wir heute gehen. Sie liegt auf einer Hochebene über dem Ebrotal, an der Mündung eines Gebirgstales mit einem Fluß, der im Frühling gefährlich daherkommt. Santo Domingo, der Heilige des Ortes, hat den Bau einer Brücke veranlaßt und den Weg nach Burgos ausgebaut. (»La calzada« ist »der Weg«.) Es ist eine bequeme Etappe von etwa 20 Kilometern. Wir wären gerne etwas weiter gegangen, aber die folgende Unterkunft liegt dann schon 40 Kilometer von Nájera

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