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Santiago, Santiago

Santiago, Santiago

Titel: Santiago, Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Aebli
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Frankreich zum ersten Mal in meinem Leben Tauben gegessen. Jetzt ist es wieder am Alcalden, mich ungläubig anzusehen: Ich sei doch auch nicht mehr der Jüngste und hätte erst letzthin zum ersten Mal Tauben gegessen? Das sei wohl ein Beispiel dafür, daß sich zwei Menschen in ihren historischen Interessen stärker als in ihren Eßgewohnheiten gleichen können, versuche ich vermittelnd festzustellen, und darauf einigen wir uns ohne Mühe.
Inzwischen sind wir ans Ende des Städtchens gelangt. Der Alcalde zeigt uns noch, wo der Weg weitergeht, und dann nehmen wir herzlich Abschied. Man soll nicht so leichthin behaupten, der Jakobsweg verbinde die Völker. Aber hier sind sich durch ihn drei Menschen näher gekommen.
Das Land ist topfeben und unser Weg schnurgerade. Die Fluren sind beim Bau der Bewässerungsanlagen bereinigt und die Wege neu angelegt worden. Das macht die Landschaft zwar langweiliger, aber sie ist dafür grün. Der Mais steht hoch, und auch die Rüben, unsere guten Bekannten, gedeihen in saftig-grünen Feldern.
Beim nächsten Dorf kommen wir an einen kleinen Fluß, und der Weg folgt seinem Ufer. Aus der Ferne haben wir schon viele Male die Auenwäldchen am Rande der Flüsse beobachtet, aber heute lernen wir sie nun aus der Nähe kennen. Pappeln, Weiden und alle möglichen Sträucher wachsen am Ufer. Am sauberen Wasser steht Schilf. Von Zeit zu Zeit reicht ein Wäldchen einige Meter ins Feld hinaus, und der Weg taucht in seinen Schatten. Blumen aller Art blühen am Wegrand: Mohn, Wiesensalbei, Skabiosen, violette und gelbe Disteln, kleine gelbe Körbchenblütler, und natürlich die blaue Wegwarte. Nie hätten wir gedacht, daß wir in der dürren Meseta eine derartige Blumenwelt antreffen würden. Und wie die roten Hagebutten der Heckenrosenbüsche vor dem blauen Himmel leuchten! Der Herbst meint es gut mit uns.
In Villalcázar de Sirga ist Mittagszeit. Das Städtchen hat einen Lebensmittelladen mit Bar. Wir finden etwas zu essen und zu trinken, suchen damit die kleine Stadtanlage auf und bereiten unsere Brote. Die Bank steht unter Platanen mit dichten, niedrigen Kronen. Ein Spatzenvolk wohnt darin und treibt sein lautes Wesen. Vor uns plätschert ein Springbrunnen mit dünnem Strahl. Wir sind hier nicht allein. Eine Tertulia von älteren Herren hat auf zwei gegenüberliegenden Bänken Platz genommen und führt eine lebhafte Diskussion, während ein weiterer Alter, der würdigste von allen, die Gruppe am Stock umkreist und dann und wann ein Wort einwirft. Die Sprache ist rasch und von lateinischer Animation; wir vermögen ihr nicht zu folgen. Aber die Gesellschaft dieser Männer tut uns gut, denn wir wandern fast immer in großer Einsamkeit.
Wir lernen das Städtchen selber im hellen Licht der Septembersonne kennen. Es ist sauber, aber die Straßen sind zur Zeit der Siesta fast völlig menschenleer. Es hat eine bedeutende Komturei des Templerordens besessen. Die gotische Kirche hat einen interessanten Grundriß und trägt einen reichen Figurenschmuck. Wir haben leider weder die Zeit noch die Unterlagen, sie vertieft zu studieren.
Dann ist es noch einmal eine gute halbe Stunde bis Carrión de los Condes. Der markierte Weg folgt wieder einmal der Autostraße, doch sie ist zum Glück fast verkehrsfrei. Wir kommen über eine schwache Bodenwelle und sehen dann vor uns die Stadt. Sie hat heute nur mehr 3000 Einwohner, aber man erkennt unmittelbar, daß sie eine bedeutende Vergangenheit hat: mehrere Kirchen ragen über die niedrigen Häuser hinaus, und auf einer Anhöhe steht eine zitadellenartige Burganlage. Als sich Christoph Kolumbus vor König Ferdinand dem Katholischen für seine Rechte als Entdecker Amerikas wehrte, versuchte ihn dieser mit Carrión de los Condes als Lehen abzufinden. Kolumbus ging auf dieses Angebot nicht ein, er empfand es als unwürdigen Ersatz für seine Rechte in Amerika. Die Episode zeigt aber, welches Gewicht die Stadt um das Jahr 1500 noch hatte.
     

Sonnenaufgang über der Meseta
47. Tag: Von Carrión de los Condes nach Sahagún
 
Castrojeriz und Frómista haben auffällig viele breite Straßen und große Plätze, wahrscheinlich, weil ganze Häuserzeilen niedergerissen worden sind. So hat man auch die Städte Mitteleuropas zu sanieren gemeint. Carrión de los Condes ist anders. Seine Altstadt hat noch die engen und winkligen Gassen des Mittelalters, nur daß sie heute sauber sind und all die Parfums fehlen, die Süßkind beschreibt.
Wir marschieren bei Nacht durch diese Gassen

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