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Santiago, Santiago

Santiago, Santiago

Titel: Santiago, Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Aebli
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konzentrisch ein. Jedes einzelne ist in die gleiche Ebene eingegraben, auf der auch wir uns befinden. Ihren Bächen und Flüßchen entlang wachsen schmale Auenwälder. In der Talsohle sind die Felder geometrisch-rechtwinklig, zu den Tafelbergen hinauf folgen ihre Grenzen den Unebenheiten der Landschaft, und wo sie schon wieder gepflügt sind, wiederholen die Furchenmuster die Form der Felder in immer kleiner werdenden Figuren.
Die Meseta ist hier sehr karg. Nur schütteres Gras wächst auf der dünnen Erdschicht über dem Kalkboden. Die Wegspur verschwindet immer wieder, aber Steinmännchen weisen wie im Mittelalter die Richtung. Dann kommen wir wieder an den Rand eines Talhanges und sehen weit nach Westen. Die Landschaft der Tafelberge ist vorderhand zu Ende. Vor uns dehnt sich ein weites Tal, mit einem bedeutenden Fluß, der etwa eine Wegstunde entfernt, durch einen bewässerten Talgrund fließt. Dahinter, eine weitere Stunde entfernt, eine Hügelkette, und dann, im Dunst verschwindend, ein neues Tal. Die Landschaft leuchtet im warmen Gelb abgeernteter Getreidefelder.
Unser Weg schlängelt sich den sanften Talhang hinunter. Weit unten am Fluß erkennen wir das Dorf Itero del Castillo und den Bergfried der Burg, die ihm den Namen gegeben hat. Anderthalb Kilometer talabwärts befindet sich ein berühmter Übergang über den Fluß. Er ist schon in Aimerics Pilgerführer erwähnt. Wir wissen, daß der Jakobsweg von dort wieder flußaufwärts zu einem größeren Dorf führt, das unmittelbar gegenüber Itero del Castillo liegt. Angesichts dieser Lage beschließen wir, zum Dorf vor uns hinunterzusteigen, obschon der markierte Weg früher abbiegt und der Brücke zustrebt. Uns treibt nämlich der Durst nach einer Tasse Kaffee. Zudem hoffen wir, den Fluß ohne den Umweg zum historischen Übergang queren zu können. Denn die alte Brücke besteht nicht mehr, eine neue hat sie im letzten Jahrhundert ersetzt. Es muß doch eine direkte Verbindung zwischen den beiden Dörfern geben, denken wir.
So eilen wir voller Hoffnung hinunter ins weite Tal. In einer Stunde sind wir in Itero del Castillo. Es ist Sonntag, aber die schöne Kirche ist geschlossen. Vielleicht kommt ein Priester zu einer Abendmesse von einem Nachbardorf. Wir erkundigen uns nach der Möglichkeit, den Fluß zu überqueren. Ein wenig hoffe ich, daß da, wenn schon keine Brücke, so doch eine Fähre existiere. Vergebliche Hoffnung. Man verweist uns auf Aimerics Übergang.
Und ob es eine Bar gebe? Auch die gibt es nicht — hartes Schicksal für Wanderer, die ihren Tagesmarsch nur mit einem Schluck kalter Milch und einem Stück Brot aus dem Rucksack angetreten haben. Doch die Sonne scheint, und so machen wir gute Miene zum bösen Schicksal, setzen uns auf eine Bank an der Wegkreuzung und nehmen einen weiteren Schluck aus dem Milchbehälter, zusammen mit einem Stück Schweizer Schokolade, Made in Barcelona, aus dem Lebensmittelladen von Castrojeriz...
Dann also hinunter zu Aimerics Brücke. Die Rekonstruktion ist sehr schön, wölbt sich in sieben Bogen über den schilfbestandenen Fluß. Wie weiter? Wieder anderthalb Kilometer flußaufwärts nach Itero de la Vega, wie es die Wegmarkierung zeigt? Das widerspricht unserem Drang nach Westen. Wenn wir schon hier hinunter mußten, so können wir doch wohl wenigstens schräg hinauf über die Felder auf den markierten Weg zurück, indem wir Itero de la Vega rechts liegen lassen.
Wir versuchen es. Vorerst geht es sehr gut. Wir wandern über Wiesen und Stoppelfelder. Dann kommen krautige Rübenfelder, die ein rechtwinkliges Zickzack an ihren Rändern erfordern, aber es geht auch noch. Dann stoßen wir auf einen Kanal, der genau von Norden nach Süden, parallel zum Fluß, verläuft. Das ist zwar nicht unsere Richtung, aber wir werden wohl auf den Weg zurückkommen, wenn wir ihm aufwärts folgen. Jetzt reichen aber die Felder bis an den Kanal heran. Also gehen wir in den Furchen weiter und versuchen, keine Rübenblätter zu zertreten. Was wir nicht bedacht haben, ist, daß die Felder auch bewässert sein könnten. Denn von einem gewissen Punkte an stehen sie nun wirklich unter Wasser, genauer: in den Furchen liegen einige Zentimeter von dem lebensspendenden Naß.
Aus. In dem Morast gibt es kein Weiterkommen. Wir müssen einige hundert Meter zurück, dann gegen Osten ausweichen, auf den Fluß zu, dem wir nicht hatten folgen wollen. Etwa 500 Meter von der Brücke entfernt stoßen wir auf den markierten Weg. Die verlorene Stunde

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