Santiago, Santiago
Treiben von jungen Leuten, und die Alten haben auch ihre Ecke. In den Nebenstraßen sitzen die Frauen auf Stühlen, die sie aus den Häusern herausgeholt haben, genießen die Kühle des Abends, stricken und tauschen die Neuigkeiten des Tages aus, interessieren sich auch diskret für uns nördliche Gestalten, die wir von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit wandern und lange vor Fassaden stehenbleiben.
Denn im Mittelalter ist Sahagún eine bedeutende Stadt gewesen. Im Jahre 1080 sind die Benediktiner von Cluny hierher gekommen, und eine Zeitlang war ihre hiesige Niederlassung die wichtigste von ganz Spanien. Die Kirchen verraten einiges von dieser Vergangenheit.
Fremd und doch vertraut wirkt auf uns die Westfassade von San Tirso, der bedeutendsten Kirche der Stadt: fremd die braunrote Farbe der unverputzten Backsteine, vertraut die drei großen, runden Apsiden des Langhauses und seiner beiden Nebenschiffe. In ruhigem Rhythmus ziehen sich die Bänder der romanischen Blendbogen über die Backsteinmauern. Kein Fenster unterbricht ihren warmen, braunroten Ton, kein Gesicht und kein Fabeltier fixieren den Betrachter. Nichts als die Harmonie der runden Bogen, die ruhende Schönheit ausgewogener Proportionen. Über dem Hauptschiff aber, kräftig und doch schlank, der eine, breite und hohe Turm mit drei Reihen von romanischen Arkadenfenstern, herauswachsend aus den schräg aufsteigenden Dächern der Seitenschiffe und abgeschlossen durch ein einfaches, flaches Ziegeldach. Er überragt die niedrigen Häuser noch heute, so wie er sie im Mittelalter überragt hat. Man spürt, daß das mächtige Gotteshaus den Feinden der Stadt von weitem signalisieren sollte, wer ihr Beschützer sei.
Freundliche Menschen in einsamen Dörfern
48. Tag: Von Sahagún nach El Burgo Ranero und León
Am Rande von Sahagún kommen wir zur alten Brücke über den Río Cea und sind rasch wieder auf der Meseta. Mit Romantik und Besinnlichkeit ist es vorerst nicht weit her: der Weg folgt wieder einmal der Autostraße, und diese wird verbreitert. Neben gelben Ungetümen von Straßenbaumaschinen und Kompressoren ist nicht gut wandern, aber zum Glück auch nicht gut Auto fahren. Der Verkehr ist gering, das entschädigt uns ein wenig für das moderne Ungemach.
Nach einer Stunde kommen wir an einen Scheideweg. Es gibt nun zwei alte Pilgerstraßen, die im Abstand von einigen Kilometern parallel verlaufen. Oder, historisch wohl exakter: solche Variationen des Weges hat es überall gegeben, nur sind sie hier noch bezeichnet. Wir wählen den Camino Francés, den Weg der französischen Pilger des Mittelalters.
Rechts von uns sehen wir noch die braunen Häuser von Calzada del Coto, durch die der andere Weg führt, dann umgibt uns wieder die Meseta. Vor uns und zur Linken ist sie ganz flach. Nur auf der rechten Seite nähern sich uns einige Hügel, und dahinter beginnen sich die Ausläufer der Berge von Kantabrien abzuzeichnen, die den Golf von Biscaya säumen. Wir wandern jetzt allmählich auf sie zu.
Wieder die endlosen, abgeernteten Getreidefelder. Dazwischen unbebaute Landstücke: der Ertrag ist klein, ihr Besitzer hat sie nicht mehr angesät. Vielleicht hat er das Dorf verlassen und ist in die Stadt gezogen. Es geht Kilometer um Kilometer geradeaus, mit minimalen Biegungen des Weges.
Vor uns taucht vorerst winzig klein, dann unmerklich größer werdend, ein Kirchturm auf. Wir wandern exakt auf ihn zu. Wenn Straße und Felder von Schnee bedeckt wären, fänden wir das Dorf nur mit seiner Hilfe. Es ist Bercianos del Real Camino. Die Häuser sind vorerst kaum zu erkennen. Ihre braune Farbe läßt sie als bloße Hebungen des Horizontes erscheinen. Dann zeichnen sich die Dächer und die Fenster ab, wir kommen in die Nähe des Dorfes, und schließlich treten wir in die Hauptstraße ein.
Fast alle Häuser sind ein- oder anderthalbstöckig und braun, die Mauern der älteren aus Lehm gegossen und durch die Sonne getrocknet, die jüngeren aus gebrannten Backsteinen. Alte Frauen sitzen bei den Haustüren und lesen Gartenfrüchte. Männer in Baskenmützen stehen redend beieinander. Eine jüngere Frau, sie nun in farbigem Kleid und ohne Kopftuch, öffnet ein Fenster. Die Leute grüßen uns freundlich, und wir wissen, daß uns interessierte Blicke und Kommentare nachfolgen. Um diese Jahreszeit sind die Pilger selten geworden. Wir selbst haben schon tagelang keinen mehr gesehen.
Die Kirche liegt abseits von der Hauptstraße etwas erhöht und blickt auf einen Weiher
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