Santiago, Santiago
es versäumt, in Villafranca einen neuen Film zu kaufen, und suche in den Läden des Dorfes verzweifelt danach; vergebens. Eine Baskenmütze, einen Halfterstrick oder ein Sensenblatt hätte ich gefunden, aber einen Film gibt es hier nicht. Dabei hat der kleine Ort drei oder vier Bankfilialen. Nicht etwa, weil er so reich wäre, viel eher, weil die ausgewanderten Söhne und Töchter ihren hiesigen Angehörigen das Unterstützungsgeld über diese Banken heimschicken. Wir nehmen hier die Fremdarbeiterproblematik aus der Perspektive der zurückbleibenden Menschen wahr. Die pittoresken Ochsengespanne, denen wir begegnen, und die freundlichen Alten, die neben ihnen hergehen, verlieren in dieser Sicht etwas vom Geschmack der heilen Welt.
Es ist indessen kein Tag zum Grübeln, vielmehr ein fröhlicher Wandertag. Die Nationalstraße ist in ein Seitental abgeschwenkt, während wir einem kleinen Sträßchen gefolgt sind. Dann haben wir auch dieses verlassen und wandern nun auf einem Saumpfad einem fruchtbaren, bewässerten Talgrund mit kleinen Äckern und Kuhweiden entlang. Dann beginnt der Weg zu steigen. Wir kommen durch einen alten Kastanien- und Eichenwald mit mächtigen, charaktervollen Bäumen. Höher oben führt der Weg einmal über offene Wiesen, dann wieder zwischen Hecken und sorgfältig geflochtenen Zäunen durch. Über uns tauchen am Horizont die Häuser eines Bergdorfes auf. Es heißt Faba, »Dorf der Faber«.
Wir sind nun bei den Häusern und sehen uns um. Sie sind anders als in Pradela, rechteckig und größer als die alten Gebäude von gestern, und sie haben schieferbedeckte Walmdächer von geometrischer Form. Es gelingt mir nicht, diesen Unterschied zu deuten, denn die Häuser sind nicht neu, und sie zeugen von guter Handwerksarbeit. Hat hier Francos Regierung noch »Berghilfe« getrieben?
Nach dem Dorf verläuft der Weg zum Teil auf dem gewachsenen Fels. Die Unebenheiten sind mit einer Pflästerung von Natursteinen ausgeglichen. So muß der Weg schon vor Zeiten ausgesehen haben. Wir treten aus dem Schatten von Nußbäumen heraus und sehen, daß die Berge nun rauher werden. Da und dort tritt der Fels aus den Wiesen hervor, und auch in der weiteren Umgebung sind es nicht mehr nur die gerundeten Kuppen, die uns bisher umgeben haben. Felswände unterbrechen die Wälder und Weiden, und da und dort gehen sie in kahle Schutthalden über.
Wir rasten auf einem solchen Felssporn über dem Dorf. Im Osten stoßen mehrere Höhenzüge von links und rechts an das Tal, im Norden und Westen steigen Weiden mit sich verfärbendem Farnkraut gegen den Himmel, im Süden sehen wir in ein tiefes Waldtal hinein. Unter uns glänzen die Schieferdächer von Faba im Sonnenlicht. Auf einem steilen Acker pflügt ein Bauer mit einem Ochsengespann und versucht es mit lauten Rufen anzutreiben.
Die Landschaft erinnert an unsere heimatlichen Berge. Es fehlt nur das Geläute der weidenden Tiere, dann begänne mich die Wehmut des Herbstes zu fassen. Es ist ja nicht nur das Fremde, das uns anzieht. Ein Schuß Vertrautheit unterstützt das Erlebnis des Anderen. Dann geht es einem langen sonnigen Hang entlang, zwischen Ginster, Farnkraut, gelbleuchtenden, stacheligen Blumen und rot-violettem Heidekraut. Er hat einmal gebrannt, ist aber daran, sich zu erholen. Schließlich taucht rechts eine neu errichtete Mauer auf, und nach einer Biegung des Weges stehen wir vor den Häusern von Cebreiro. Wir sind auf der Paßhöhe.
Mein erster Impuls ist, auf der anderen Seite hinunter zu sehen. Wie sieht Galizien aus? Der Tag ist klar, das Bild episch: eine unendliche Folge von Höhen und Tälern. Sie sind vor uns noch waldig tief, dann werden sie sanfter und lösen sich schließlich im Dunst einer fernen, kaum von der Waagerechten abweichenden Horizontlinie auf. Dort muß Santiago liegen. Es sind noch etwa sechs Tagereisen bis zum Ziel.
Der Weiler zählt sieben Herde. Bis vor 15 Jahren wohnten die Menschen hier in sogenannten Pallozas, das sind jene strohbedeckten Rundhäuser, von denen uns schon eines in Pradela aufgefallen war. Diese wurden von der Regierung unter Denkmalschutz gestellt. Den sieben Familien hat man moderne, dem Dorfbild angepaßte Häuser gebaut. In einem der alten Pallozas befindet sich ein einfaches volkskundliches Museum, ein weiterer dient als Pilgerunterkunft.
Schon im 9. oder 10. Jahrhundert bestand hier ein Refugium, später wurde es zu einem Hospital ausgebaut, das von Benediktinern betreut wurde. 1853 mußten die Mönche gehen. Die
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