Santiago, Santiago
Wüste verwandelt. Geblieben sind verkohlte Baumstämme und die Asche der verbrannten Büsche. Unser Weg hat aber als Brandschneise gewirkt, und das Feuer hat nicht auf seine obere Seite übergegriffen.
Wir haben den toten Hang hinter uns und wandern auf der Höhe nach Westen. Zu unserer Rechten blicken wir in eine liebliche Senke mit einem baumbestandenen Bach, grünen Weiden und kleinen Hochmooren. Die Zäune sind gut im Stande, Kühe weiden, und im Kastanienhain, der uns umgibt, ist der Boden sorgfältig gesäubert. Die wirtschaftliche Nutzung verleiht dem lichten Wald den Charakter eines englischen Parks. Wir sind in die Welt der Leute von Pradela eingetreten.
Das Dorf taucht am Ende des Hochtales auf, und wir erreichen seine Häuser nach einer weiteren Viertelstunde. Es ist ein lebendiges Dorf, wenn auch einige Häuser unbewohnt sind. Ein Wirtshaus gibt es nicht. Die Einwohner sind zurückhaltend, sind es offenbar nicht gewohnt, daß wir ihre Häuser so genau ansehen, verstehen wohl auch nicht, was wir daran interessant finden.
Es sind bemerkenswerte Bauten. Sie fallen uns durch ihre ungeometrischen, runden, dem Verlauf der Gassen angepaßten Formen auf. Es sind kunstvoll ausgeführte Mauern, schöne Fenster- und Türstürze. An manchen Küchenfenstern entdecken wir steinerne Abwasserausgüsse, ähnlich den Wasserspeiern alter Kirchen.
Der Dachstuhl eines verlassenen ovalen Hauses liegt frei. Auch hier ist die Konstruktion ganz ungeometrisch, aus unregelmäßig geformten Balken von Kastanienholz angefertigt. Das Ergebnis ist kein Dach mit geradem First, sondern ein schöner Kegel mit ovaler Basis. Da waren Zimmerleute am Werk, die mit Holz umzugehen verstanden. Wir haben den Eindruck, daß hier, schon diesseits der Wasserscheide, Galizien mit seiner keltischen Kulturlandschaft beginnt. Denn die Nordwestecke Spaniens ist ja wie die Bretagne, Wales und Irland ein Rückzugsgebiet der Kelten gewesen.
In den Gärten fällt uns ein Kohl auf hohen Stengeln, mit von unten her abgepflückten Blättern auf. Wir haben von der galizischen Kohlsuppe gehört und fragen uns, ob sie mit diesen Blättern gemacht werde. Im Dorf selber habe ich keine Gelegenheit, die Frage zu stellen. Aber wie wir es verlassen und ins Haupttal abzusteigen beginnen, kommt uns eine junge Frau entgegen. Ich gehe auf sie zu und versuche ihr die Frage zu stellen, merke aber sofort, daß sie erschrickt und sich vor mir fürchtet. Es gelingt mir nicht, ihr verständlich zu machen, daß mich nur die galizische Kohlsuppe interessiert — wie kann sich ein Fremder für Kohlsuppe interessieren? Ich entschuldige mich, und die junge Frau strebt raschen Schrittes dem Dorfe zu.
Die Begegnung gibt mir zu denken. Ein so einfaches Geschehen wie die Kontaktnahme mit einer Frau auf offener Straße, in Gegenwart zweier weiterer Menschen, ist nicht überall selbstverständlich. Ich bin zu unbekümmert gewesen. Was ich getan habe, tut man in diesem Dorfe offenbar nicht. Mindestens hätte ich behutsamer vorgehen müssen.
Wir steigen nun über viele Kehren ins Haupttal ab und müssen dann noch eine knappe Stunde talaufwärts gehen, bis wir in Portela de Valcarce sind. Zum Glück gibt es eine alte und eine neue Talstraße. Die alte ist voller Löcher, aber verkehrsfrei, und so kommen wir ungeschoren an unser Ziel. Das einzige Hotel des kleinen Orts wird vor allem von Fernlastwagenfahrern benützt. Die Kost ist entsprechend robust und preiswert und die Farbe des Rotweines fast violett. Aber es ist ein guter Tag gewesen.
Übergang ins Land der Gälen
54. Tag: Von Portela de Valcarce nach Cebreiro
Unser heutiges Ziel ist das berühmte Paßdorf Cebreiro, das Tor nach Galizien, das ins »Land der Gälen« führt. Wir nähern uns jenem Landstrich, in dem die christlichen Ideen mit der Leidenschaft und der Innerlichkeit der Kelten geglüht haben. Die Gläubigen Europas haben sich über Jahrhunderte von ihnen anziehen lassen.
Aber vorerst sind wir noch weit unten im Tal, und es geht auf der alten Straße geradeaus. Wir kommen durch Straßendörfer mit ärmlichen Häusern. Das Tal hat eine kleingewerbliche Eisenindustrie gehabt, das lesen wir an Ortsnamen wie »Herreria« (ferreria) ab, und der Paßverkehr hat dem Tal wohl einige zusätzliche Impulse gebracht. Aber alle diese Wirkungen sind so wenig dauerhaft geblieben, daß wir immer wieder den Eindruck haben, an Arbeiterhäusern des 19. Jahrhunderts vorbeizugehen.
Der Hauptort des Tales heißt Vega de Valcarce. Ich habe
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