Santiago, Santiago
Boden verwachsen sind. Trockene Halme hängen in den Weg hinein. Ihre Rispen sind durchleuchtet. Sie glänzen vor dem Schatten der Berge, hinter denen die Sonne untergehen wird.
Nach einer Wegbiegung taucht die Apsis einer romanischen Kirche auf, ein einfaches, aber kraftvolles Gebäude aus einem rot-grünen, schiefrigen Stein. Es muß die Santiagokirche von Villafranca sein. Wir sind nun bei den Häusern. An der Seite eines dunkeln Schlosses mit runden Ecktürmen steigen wir in die Stadt ab.
Sie liegt an einem Abhang, der auf die Abendsonne ausgerichtet ist. An seinem Rande, gegen die Berge hin, fließt ein Gebirgsfluß, die Burbia. Der Pilgerweg überwindet ihn auf einer gemauerten Bogenbrücke und tritt in ein enges Tal ein, das Valcarce, »Kerkertal« heißt.
Die Stadt selbst zählt nur etwa 4000 Einwohner, denn sie hat sich seit historischer Zeit kaum entwickelt. Zugleich hat sie aber die edlen Formen einer bedeutenden Vergangenheit bewahrt. Die Patrizierhäuser an der Hauptgasse, der Calle del Agua, sind mit den Familienwappen ihrer Besitzer geschmückt. Villafranca war eine jener Städte, die nach der Rückeroberung von den Mauren von französischen Siedlern aufgebaut wurde. Diese fernste Frankenstadt am Rande des kantabrischen Gebirges erinnert mich an Courmayeur im norditalienischen Aostatal, das an einem ebenso schäumenden Gebirgsfluß liegt und wie Villafranca einen entlegenen französischsprachigen Vorposten darstellt.
In der Unterkunft finden wir unsere beiden Radfahrerinnen wieder. Sie sind wie wir von dem interessanten Talkessel zwischen Kastilien und Galizien begeistert und finden, man müßte hierher zurückkehren. Der Abend zu fünft entwickelt sich anders als die Abende zu zweit, die Verena und ich in den vergangenen zwei Monaten verbracht haben. Es geht lebhaft und lustig zu, wohl nicht unähnlich den Abenden mancher wandernder Pilgergruppen der Vergangenheit. Ob allerdings die Geschichten, die wir austauschen, so farbig sind wie die auf dem Weg nach Canterbury entstandenen, wage ich nicht zu entscheiden.
Ein galizisches Bergdorf
53. Tag: Von Villafranca del Bierzo nach Portela
Von Villafranca bis zum Übergang nach Galizien sind es etwa 25 Kilometer, und dazu kommen etwas mehr als 800 Meter Steigung. Wir beschließen, diesen Weg auf zwei Etappen zu verteilen. Am ersten Tag werden wir zudem einen Abstecher in die Berge des Valcarce versuchen, statt durch dieses hinaufzuwandern, wie es der »Guía del Peregrino« vorsieht. Wir werden die Höhe über seine Nordflanke gewinnen. So haben es wohl auch die Pilger gehalten, wenn im Talgrund die Wege durch Überschwemmungen, Lawinen oder Steinschläge zerstört waren.
Wir steigen unmittelbar nach der alten Brücke über die Burbia auf einem steilen, in den Felsen gehauenen Weg in den Talhang ein. Am Anfang kleben noch einige Häuser am Fels. Aus einem von ihnen ruft uns eine Frau nach: Bajo, bajo. Unten, unten durch. Sie meint es gut mit uns, weiß, daß der normale Pilgerweg auf der Straße verläuft, und möchte uns den unnötigen Aufstieg ersparen. Ich erkläre ihr, daß wir hinauf nach Pradela wollen und dann wieder ins Tal absteigen werden. Dann ist es schon der rechte Weg, räumt sie ein, aber ich merke, daß sie nicht versteht, wie man solche Umwege und unnötigen Anstrengungen auf sich nehmen kann.
Wir bereuen den Umweg nicht. Wir sind auf dem Weg, auf dem die Leute von Pradela mit ihren Maultieren über Jahrhunderte nach Villafranca heruntergekommen sind. Heute gibt es allerdings eine Straße, die direkt ins Valcarce hinunterführt, und die Pradeler scheinen auf unserem Weg nur noch dann und wann eine alte Kuh zum Metzger zu treiben.
Der Talhang, an dem wir aufsteigen, bleibt ziemlich steil. Unten windet sich die Straße durchs enge Tal, und es dröhnen anfänglich noch die Lastzüge herauf, deren Nachbarschaft wir glücklich entronnen sind. Ein charaktervoller Kastanienwald mit vielfältigem Unterholz begleitet unseren Weg. Wie wir gegen die 900 Meter hinaufkommen, lösen ihn Ginsterbüsche ab, die uns nur eine schmale Spur lassen. Wir haben wieder einmal den Eindruck, im Ginster zu schwimmen. Aber es ist ein sonniges Bad, in heiterer und sauberer Luft. Wir sehen immer besser in die gegenüberliegenden Seitentäler hinein und auf die Terrassen mit ihren hochgelegenen Dörfern.
Dann geschieht in unserer unmittelbaren Umgebung ein unheimlicher Wechsel: ein Waldbrand hat den ganzen steilen Hang von unten bis an unseren Weg in eine schwarze
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