Santiago, Santiago
Gespräch. Es zeigt, daß es über die Kulturen hinweg gemeinsame Interessen gibt, welche ein Sich-Verstehen ermöglichen. Das ist gut für das entstehende Europa.
Das Dorf selbst macht uns den Eindruck von großer Armut und Mutlosigkeit. Die abschüssigen Gassen sind vom Regen aufgeweicht und schmutzig. Der Steinbelag ist defekt und wird nicht mehr instand gehalten. Hunde streunen und Hühner scharren im Schlamm, und um mehrere Häuser herrscht große Unordnung. Was wir beobachten, gilt wahrscheinlich nicht für jedes Haus. Aber es braucht wenig, bis eine Gasse verkommt.
Wir sind nun im Tal von Triacastela, und es geht durch ein kleines Sträßchen auswärts. Wir kommen noch durch einige bescheidene Straßendörfer, dann verdichten sich die Häuser, und wir sind am Ziel.
Von den drei Burgen von Triacastela erkennt man nur noch einige Ruinen auf den umgebenden Hügeln, und der Ort selber ist nicht mehr als ein mittleres Bauerndorf. Aber hier hat schon im 10. Jahrhundert ein Kloster bestanden, und in Aimerics Beschreibung des Jakobsweges ist Triacastela Etappenort. König Alfonso IX. von León wollte daraus eine bedeutende Stadt machen, aber das ist ihm offensichtlich nicht gelungen. Es gibt geschichtliche Kräfte, die stärker als der Wille der Könige sind.
Immerhin: es gibt ein kleines Hotel in Triacastela, und die Wirtin hat Platz für uns. Sie kocht uns ein einfaches, schmackhaftes Nachtessen und läßt uns ihre Sympathie spüren. Wir fühlen uns in ihrem Hause wohl und sind auch dankbar, daß der Abend von einer milden Sonne erleuchtet wird.
Kultur im galizischen Dorf
56. Tag: Von Triacastela nach Sarrià
Der Morgen hält, was der Abend versprach: Wolken und Nebel sind weg, und über unserem Abmarsch leuchtet eine milde Herbstsonne. Der Weg könnte auch in Irland sein: ein stilles Waldtal, in dem ein Bach seine Mäander zieht. An seinem Ufer stehen Pappeln, die sich zu entfärben beginnen. Die Wiesen im Talgrund sind sorgfältig gemäht, die Felder durch kunstvoll gebaute Mauern oder durch mächtige, in den Boden gesteckte Schieferplatten abgegrenzt: die alte Technik der Kelten.
Auch Aimeric weiß, daß Galizien anders ist als Kastilien und León. Er beschreibt es so:
»Inde terra Gallecianorum invenitur,... hec est nemorosa fluminibusque pratis et malariis obtimis, fructibusque bonis et fontibus clarissimis apta, urbibus et villis et segetibus rara, pane triticeo et vino stricta, pane siliginensi et sicera larga, peccoribus et jumentis, lacte et melle, pisci busque marinis immanissimis... abilis...«
»Dann kommt man nach Galizien, einem waldreichen Land mit Flüssen, Weiden und Baumgärten, guten Früchten und klaren Quellen. Städte, Dörfer und bebaute Felder gibt es hier wenige, und auch das Weizenbrot und der Wein sind rar, dafür Roggenbrot und Most im Überfluß, Kleinvieh und Pferde, Milch und Honig, und riesengroße Fische aus dem Meer...«
Wir kommen durch Balsa, ein urtümliches Dorf, und sehen einen Bauern eben durch eine Tür in einen ummauerten Garten eintreten. Darin wächst galizischer Kohl, der uns seit langem beschäftigt. Zimi, die uns heute begleitet, hat eine Art zu grüßen, welche die Leute zum Reden einlädt. Wir bleiben zu einem Schwatz stehen und loben die kunstvoll gefügten Mauern der Häuser und Gärten. Der Mann nimmt das Lob mit verhaltener Befriedigung entgegen, bemerkt aber dazu, es gebe heute viel zu wenige junge Leute, die diese Arbeit noch ausführen wollten und könnten. Auch hier sei man rasch bereit, fertige Backsteine oder gar Betonziegel zu verbauen.
Verena und Zimi wollen genauer wissen, wie man die galizische Kohlsuppe mache, und was man dazu alles brauche. Über die Kochregeln ist der Bauer nicht so genau im Bild, das sei hier noch Sache der Frauen, aber er weiß, daß es dazu auch Bohnen, Kartoffeln und Schweinefleisch braucht. Der Mann hat eine bedächtige, fast weiche, aber intelligente Art zu reden. Seine Sätze haben Form, und wir merken ihm an, daß er über seine Welt nachgedacht hat.
Im Weitergehen reden wir über die geistige Unterstützung, welche die Menschen in den Dörfern durch die Medien erhalten — und nicht erhalten. Wir sehen in unseren kleinen Hotels ja praktisch jeden Abend das spanische Fernsehen, die Apparate stehen sogar in den Eßsälen. Das sind Welten des Redens und des Konsums, die nicht nur räumlich, sondern vor allem geistig meilenweit von der Welt dieser Bauern entfernt sind und die ihnen für ihre äußeren und inneren
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