Saphirblau
hatte ihr den Spaß ein für alle Mal verdorben. Manchmal muss man die Leute mit ihren eigenen Waffen schlagen. Der Trick ist, dass man beim Sprechen nicht das geringste Zögern erkennen lassen darf, und man sollte mindestens einen anerkannten Bestsellerautorennamen einflechten, am besten einen, dessen Buch man auch wirklich gelesen hat. Außerdem gilt: je exotischer und ausländischer die Namen, desto besser.
Ich hob mein Kinn und sah Gideon fest in die Augen. »Na, George Matussek lese ich zum Beispiel gern, Wally Lamb, Pjotr Selyjeniki, Liisa Tikaanenen, überhaupt finde ich finnische Autoren toll, die haben so einen besonderen Humor, dann alles von Jack August Merrywether, obwohl mich das letzte ein bisschen enttäuscht hat, Helen Marundi selbstverständlich, Tahuro Yashamoto, Lawrence Delaney, und natürlich Grimphook, Tscherkowsky, Maland, Pitt. . .«
Gideon sah eindeutig verdutzt aus.
Ich verdrehte die Augen.
»Rudolf
Pitt, nicht
Brad.«
In seinen Mundwinkeln zuckte es leicht.
»Obwohl ich sagen muss, dass mir
Amethystschnee
überhaupt nicht gefallen hat«, fuhr ich rasch fort. »Zu viele schwülstige Metaphern, fandest du nicht auch? Beim Lesen habe ich die ganze Zeit gedacht, das hat jemand anders für ihn geschrieben.«
»Amethystschnee?«,
wiederholte Gideon und jetzt lächelte er richtig. »Ah, ja, das fand ich auch furchtbar schwülstig. Wohingegen mir
Die Bernsteinlawine
unheimlich gut gefallen hat.«
Ich konnte nicht anders, ich musste zurücklächeln. »Ja, mit
Die Bernsteinlawine
hat er sich den österreichischen Literaturstaatspreis wirklich verdient. Was hältst du denn von Takoshi Mahuro?«
»Das Frühwerk ist okay, aber ich finde es ein wenig ermüdend, dass er immer und immer wieder seine Kindheitstraumata verarbeitet«, sagte Gideon. »Von den japanischen Literaten liegt mir Yamamoto Kawasaki mehr oder Haruki Murakami.«
Ich kicherte jetzt haltlos. »Murakami gibt es aber wirklich!« »Ich weiß«, sagte Gideon. »Charlotte hat mir ein Buch von ihm geschenkt. Wenn wir das nächste Mal über Bücher reden, werde ich ihr
Amethystschnee
empfehlen. Von - wie hieß er noch?«
»Rudolf Pitt.« Charlotte hatte ihm ein Buch geschenkt? Wie - äh - nett von ihr. Auf so eine Idee musste man erst mal kommen. Und was taten sie wohl sonst noch miteinander, außer über Bücher zu reden? Meine Kicherlaune war wie weggeblasen. Wie konnte ich überhaupt einfach so hier sitzen und mit Gideon plaudern, als wäre nie etwas zwischen uns passiert? Zuerst einmal hätten wir doch da noch ein paar grundsätzliche Dinge zu klären. Ich starrte ihn an und holte tief Luft, ohne genau zu wissen, was ich ihn überhaupt fragen wollte.
Warum hast du mich geküsst?
»Wir sind gleich da«, sagte Gideon.
Aus dem Konzept gebracht schaute ich aus dem Fenster. Tatsächlich - irgendwann während unseres Schlagabtausches hatte der Taxifahrer offenbar sein Buch zur Seite gelegt und die Fahrt fortgesetzt und nun war er kurz davor, in die Crown Office Row im Temple Bezirk abzubiegen, wo die Geheimgesellschaft der Wächter ihr Hauptquartier hatte. Wenig später parkte er den Wagen auf einem der reservierten Parkplätze neben einem glänzenden Bentley.
»Und Sie sind ganz sicher, dass wir hier stehen bleiben dürfen?«
»Das geht schon in Ordnung«, versicherte ihm Gideon und stieg aus. »Nein, Gwendolyn, du bleibst im Taxi, während ich das Geld hole«, sagte er, als ich hinterherklettern wollte. »Und vergiss nicht: Egal, was sie uns auch fragen werden: Du lässt
mich
reden. Ich bin gleich wieder da.«
»Die Uhr läuft«, sagte der Taxifahrer mürrisch.
Er und ich sahen Gideon zwischen den altehrwürdigen Häusern von Temple verschwinden und ich begriff jetzt erst, dass ich als Pfand für das Fahrgeld zurückgelassen worden war.
»Sind Sie vom Theater?«, fragte der Taxifahrer.
»Wie bitte?« Was war das für ein flatternder Schatten über uns?
»Ich mein ja nur, wegen der komischen Kostüme.«
»Nein. Museum.« Vom Autodach kamen seltsame kratzende Geräusche. Als wäre ein Vogel darauf gelandet. Ein großer Vogel. »Was ist das?«
»Was denn?«, fragte der Taxifahrer.
»Ich glaube, da ist eine Krähe oder so auf dem Auto«, sagte ich hoffnungsvoll. Aber es war natürlich keine Krähe, die ihren Kopf über das Dach neigte und zum Fenster hereinschaute. Es war der kleine Wasserspeier aus Belgravia. Als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, verzog sich sein Katzengesicht zu einem triumphierenden Lächeln und
Weitere Kostenlose Bücher