Sara Linton 01 - Tote Augen
Körper schälen. Sie hasste es, unter der Erde zu sein. Sie parkte nicht einmal in einer verdammten Tiefgarage, so sehr hasste sie es.
Sie blieb stehen und schloss die Augen. Niemand in der Agentur parkte auf ihrem Stellplatz. Er war direkt neben der Tür. Manchmal ging sie kurz hinaus, um Luft zu schnappen, stand dann an der Einfahrt zur Garage und schaute nach, ob er auch leer war. Sie konnte das Schild von der Straße aus sehen. PAULINE Mc GHEE . O Mann, dieser Kampf mit der Schilderfirma um das klein geschriebene » c«. Die Sache hatte jemanden den Job gekostet, was ganz okay war, denn offensichtlich hatte derjenige es nicht richtig machen können.
Wenn jemand auf ihrem Platz parkte, rief sie den Wachmann und ließ das Arschloch abschleppen. Porsche, Bentley, Mercedes – Pauline war es egal. Sie hatte diesen verdammten Platz verdient. Auch wenn sie ihn nicht nutzte, ein anderer bekam ihn auf gar keinen Fall.
» Lass mich hier raus!«, schrie sie, zerrte an ihren Ketten und versuchte, sich den Gürtel abzureißen. Er war dick, ein Ledergürtel, wie ihr Bruder ihn in den Siebzigern getragen hatte. Zwei Reihen Löcher, zwei Dorne in der Schnalle. Das Metall fühlte sich an wie Wachs, und die Dorne waren an den Schnallenrahmen geschweißt. Sie konnte sich nicht erinnern, wann das passiert war, aber sie wusste, wie sich ein verdammter verschweißter Gürtel anfühlte.
» Hilfe!«, schrie sie. » Hilfe!«
Nichts. Keine Hilfe. Keine Antwort. Der Gürtel schnitt ihr in die Haut, scheuerte an den Hüftknochen. Wenn sie nicht so verdammt fett wäre, könnte sie sich aus dem Ding einfach herauswinden.
Wasser, dachte sie. Wann hatte sie zum letzten Mal Wasser getrunken? Ohne Essen konnte man lang auskommen, manchmal sogar mehr als einen Monat, aber beim Wasser war das anders. Man schaffte es drei, vier Tage, bis es einen überfiel – die Krämpfe, das Verlangen. Die grässlichen Kopfschmerzen. Wann würde sie wieder Wasser bekommen? Oder wollte man sie verdursten lassen und dann tun, was immer man wollte, während sie nur dalag, hilflos wie ein Kind?
Kind?
Nein. Sie durfte nicht an Felix denken. Morgan würde ihn nehmen. Er würde nicht zulassen, dass ihrem Baby irgendwas passierte. Morgan war ein Mistkerl und ein Lügner, aber er würde sich um Felix kümmern, weil er eigentlich kein schlechter Mensch war. Pauline wusste, wie ein schlechter Mensch aussah, und Morgan Hollister war keiner.
Hinter sich hörte sie Schritte, draußen vor der Tür. Pauline blieb stehen und hielt den Atem an, damit sie besser hören konnte. Treppe – jemand kam die Treppe herunter. Sogar in der Dunkelheit spürte sie, wie die Wände auf sie einstürzten. Was war schlimmer: Hier unten allein zu sein, oder mit jemand anderem gefangen zu sein?
Denn sie wusste, was kam. Wusste es so sicher, wie sie die Details ihres eigenen Lebens kannte. Es war nie nur eine. Er wollte immer zwei: dunkle Haare, dunkle Augen, dunkle Herzen, die er brechen konnte. Er hatte sie getrennt gehalten, solange er es aushielt, aber jetzt wollte er die beiden zusammen. Eingesperrt wie zwei Tiere. Die sich gegenseitig bekämpften. Wie Tiere.
Der erste Dominostein würde bald fallen, dann der Rest einer nach dem anderen. Eine Frau allein, zwei Frauen allein, und dann …
Sie hörte ein Klappern, » Nein-nein-nein-nein«, und erkannte, dass die Wörter aus ihrem eigenen Mund kamen. Sie ging rückwärts zur Wand und drückte sich dagegen, ihre Knie zitterten so sehr, dass sie zu Boden gefallen wäre, wenn die rauen Schlackesteinblöcke sie nicht gestützt hätten. Ihre Hände zitterten so sehr, dass die Handschellen klirrten.
» Nein«, wisperte sie, nur ein Wort, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sie war eine Überlebenskünstlerin. Sie hatte nicht die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens gelebt, um in einem verdammten unterirdischen Loch zu sterben.
Die Tür ging auf. Unter der Binde sah sie Licht aufblitzen.
Er sagte: » Hier ist deine Freundin.«
Sie hörte etwas auf den Boden fallen – ein Schwall muffig feuchter Luft, das Klirren von Ketten, dann Stille. Dann ertönte ein zweites, leiseres Geräusch; ein dumpfes Plumpsen, das durch den Raum hallte.
Die Tür ging zu. Das Licht war verschwunden. Ein pfeifendes Geräusch war zu hören, mühsames Atmen. Tastend fand Pauline den Körper. Lange Haare, Augenbinde, schmales Gesicht, kleine Brüste, die Hände vor dem Bauch in Handschellen. Das Pfeifen kam aus der gebrochenen Nase der Frau.
Keine Zeit,
Weitere Kostenlose Bücher