Sara Linton 01 - Tote Augen
Kumpel Morgan nach der Kombination fragen?«
» Ich würde richtig Geld darauf wetten, dass er sie nicht kennt.«
Faith nahm die Wette nicht an. Wie Jacquelyn Zabel schien auch Pauline McGhee gern Geheimnisse zu haben.
Will sagte: » Überprüfen Sie zuerst den Computer, dann gehe ich ihn suchen.«
Faith schaute auf den Monitor. Ein Kästchen war zu sehen, das ein Passwort verlangte.
Das sah auch Will. » Versuchen Sie › Felix ‹ .«
Sie tat es, und wie durch ein Wunder funktionierte es auch. Auch sie hatte zu Hause » Jeremy« als Passwort, und sie nahm sich vor, es zu ändern, während sie das E-Mail-Programm öffnete. Sie fand die übliche Korrespondenz von Leuten, die in einer Firma arbeiteten, aber nichts Persönliches, das auf einen Freund oder einen Vertrauten hindeutete. Faith lehnte sich zurück und öffnete den Browser, weil sie hoffte, einen E-Mail-Service zu finden. Es gab weder Gmail noch Yahoo, aber sie entdeckte mehrere Websites.
Sie klickte wahllos eine an, und eine YouTube-Seite ging auf. Sie kontrollierte die Audio-Funktion, während das Video geladen wurde. Eine Gitarre kreischte aus den Lautsprechern unten an einem Monitor, und der Satz » Ich bin glücklich« erschien, und dann » Ich lächle«.
Will stand hinter ihr. Sie las die Sätze, während einer nach dem anderen wieder verblasste. » Ich fühle. Ich lebe. Ich sterbe.«
Bei jedem Satz klang die Gitarre zorniger, und nun erschien auf dem Monitor das Foto eines jungen Mädchens in einem Cheerleader-Kostüm. Die Shorts reichten ihr gerade bis an die Hüften, und das Top bedeckte kaum ihre Brüste. Sie war so dünn, dass Faith ihre Rippen zählen konnte.
» O Gott«, murmelte sie. Ein anderes Foto wurde eingeblendet, diesmal das eines afroamerikanischen Mädchens. Sie lag zusammengerollt auf einem Bett, den Rücken zur Kamera. Ihre Haut war gespannt, die Wirbel und Rippen zeichneten sich so deutlich ab, dass man sah, wie jeder einzelne Knochen gegen die dünne Fleischschicht drückte. Ihr Schulterblatt ragte heraus wie ein Messer.
» Ist das die Site irgendeiner Hilfsorganisation?«, fragte Will. » Geld für AIDS ?«
Faith schüttelte den Kopf, als das nächste Foto erschien – ein Model vor einer Stadtsilhouette, Arme und Beine so dünn wie Stecken. Dann ein weiteres Mädchen, eigentlich eine Frau. Ihre Schlüsselbeine zeichneten sich in quälender Schärfe ab. Die Haut auf ihren Schultern sah aus wie nasses Papier, das die Sehnen bedeckte.
Faith klickte den Browser-Verlauf an. Sie holte sich ein anderes Video auf den Monitor. Eine andere Musik war zu hören, die Einleitungssequenz war jedoch ganz ähnlich. Sie las laut vor: » Esse, um zu leben. Lebe nicht, um zu essen.« Der Text blendete über in das Foto eines so entsetzlich dünnen Mädchens, dass man es kaum anschauen konnte. » Die einzige Freiheit, die einem noch bleibt, ist die Freiheit zu hungern«, las sie. » Dünn ist schön. Fett ist hässlich.« Sie schaute zum oberen Rand des Bildschirms, zur Video-Kategorie. » Thinspo. Noch nie davon gehört.«
» Ich verstehe das nicht. Diese Mädchen sehen aus, als würden sie verhungern, aber sie haben Fernseher in ihren Zimmern, tragen hübsche Sachen.«
Faith klickte einen anderen Link an. » Thinspiration«, sagte sie. » O Gott, ich kann das kaum glauben. Die sind ja alle völlig ausgemergelt.«
» Ist das eine Newsgroup oder so was?«
Faith schaute sich den Verlauf an. Sie überflog die Liste, fand noch mehr Videos, aber nichts, was aussah wie ein Chatroom. Sie blätterte zur nächsten Seite und wurde fündig. » Atlanta-Pro-Anna-dot-com«, las sie. » Es ist eine Pro-Anorexie-Site.« Faith klickte auf den Link, aber es kam nur eine Maske, die ein Passwort verlangte. Sie versuchte es noch einmal mit » Felix«, aber das funktionierte nicht. Sie las das Kleingedruckte. » Es wird ein sechsstelliges Passwort verlangt, und Felix hat nur fünf Buchstaben.« Sie tippte Variationen seines Namens ein und sagte sie Will zuliebe laut. » Null-Felix, eins-Felix, Felix-null …«
Will fragte: » Wie viele Buchstaben hat Thinspiration?«
» Zu viele«, erwiderte sie. » Thinspo hat sieben.« Sie versuchte es, aber vergeblich.
» Was ist ihr Benutzername?«
Faith las den Namen in dem Kästchen über dem Passwort. » A-T-L thin.« Sie erkannte, dass das Buchstabieren ihm nichts brachte. » Das ist die Abkürzung für Atlanta Dünn.« Sie gab den Benutzernamen ein. » Kein Glück. O Mann.« Sie schlug sich im Geiste an die
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