Sara Linton 01 - Tote Augen
seinen Verbrechen durchzukommen.
Will deutete auf die geschlossene Tür hinter dem Schreibtisch. » Meinen Sie, wir sollten einfach hineingehen?«
» Geben wir ihr noch eine Minute.« Sie versuchte den Abdruck ihrer Stirn auf dem Glas wegzuwischen, doch das machte den Fleck nur noch schlimmer. Auf der Fahrt hierher hatte die Spannung zwischen ihnen beiden sich irgendwie verändert, sodass Will sich nun keine Sorgen mehr darüber machte, Faith könnte wütend auf ihn sein. Jetzt war es Faith, die Angst hatte, sie könnte ihn verärgert haben.
Sie fragte: » Bei uns alles okay?«
» Natürlich ist alles okay.«
Sie glaubte ihm nicht, aber gegen jemanden, der darauf beharrte, es gebe kein Problem, kam man nicht an, weil derjenige beharrlich dabei blieb, bis man selber glaubte, man bilde sich die ganze Sache nur ein.
Sie sagte: » Na ja, wenigstens wissen wir, dass Zickigkeit bei den Zabels in der Familie liegt.«
» Joelyn ist ganz okay.«
» Ist schwer, die gute Schwester zu sein.«
» Wie meinen Sie das?«
» Ich meine, wenn man das gute Kind in der Familie ist, gute Noten schreibt, nicht in Schwierigkeiten gerät und so weiter, und die Schwester immer nur Mist baut und die ganze Aufmerksamkeit erhält, dann fühlt man sich irgendwie ausgeschlossen, und egal, wie gut man ist, es ist alles irgendwie unwichtig, weil die Eltern nur auf die beschissene Schwester fixiert sind.«
Anscheinend hatte sie verbittert geklungen, denn Will fragte: » Ich dachte, Ihr Bruder war ein guter Junge.«
» Ist er«, erwiderte Faith. » Ich war die Schlimme, die die ganze Aufmerksamkeit erhielt.« Sie kicherte. » Ich weiß noch gut, einmal fragte er meine Eltern, ob sie ihn nicht einfach zur Adoption freigeben wollten.«
Will lächelte dünn. » Jeder will adoptiert werden.«
Sie erinnerte sich an Joelyn Zabels schreckliche Worte über die Sehnsucht ihrer Schwester nach einem Kind. » Was Joelyn gesagt hat …«
Er unterbrach sie. » Warum nannte ihr Anwalt Amanda die ganze Zeit Mandy?«
» Das ist die Kurzform von Amanda.«
Er nickte nachdenklich, und Faith fragte sich, ob er auch mit Spitznamen und Kurzformen Schwierigkeiten hatte. Es würde passen. Man musste wissen, wie man einen Namen schrieb, um ihn abzukürzen.
» Haben Sie gewusst, dass sechzehn Prozent aller Serienmörder Adoptivkinder waren?«
Faith runzelte die Stirn. » Das kann doch nicht stimmen.«
» Joel Rifkin, Kenneth Bianchi, David Berkowitz. Ted Bundy wurde von seinem Stiefvater adoptiert.«
» Wie kommt’s, dass Sie plötzlich Experte für Serienmörder sind?«
» History Channel«, antwortete er. » Glauben Sie mir, der ist ab und zu recht nützlich.«
» Woher nehmen Sie die Zeit, so viel fernzusehen?«
» Ich habe ja nicht gerade ein ausgeprägtes gesellschaftliches Leben.«
Faith schaute wieder zum Fenster hinaus und dachte an Will und Sara Linton heute Morgen. Aus dem Bericht über Jeffrey Tolliver wusste Faith, dass er genau der Polizist gewesen war, der Will nicht war: körperbetont, führungsstark, bereit, alles zu tun, was nötig war, um einen Fall zu lösen. Wobei Will ebenfalls sehr zielstrebig war, aber er würde einem Verdächtigen eher mit Blicken ein Geständnis entlocken, als es aus ihm herauszuprügeln. Faith wusste instinktiv, dass Will nicht Sara Lintons Typ war, und deshalb hatte er ihr an diesem Morgen auch so leidgetan, als sie zusehen musste, wie verlegen ihn diese Frau machte.
Anscheinend hatte auch er eben über diese Begegnung nachgedacht, denn er sagte: » Ich weiß ihre Apartmentnummer nicht.«
» Saras?«
» Sie wohnt in den Milk Lofts an der Berkshire.«
» Es gibt doch sicher ein Gebäudeverzeich…« Faith unterbrach sich. » Ich kann Ihnen ihren Familiennamen aufschreiben, damit Sie ihn mit dem Verzeichnis vergleichen können. So viele Mieter kann es doch dort gar nicht geben.«
Er zuckte nur etwas verzagt die Achseln.
» Wir könnten im Internet nachschauen.«
» Wahrscheinlich hat sie keinen Eintrag.«
Die Tür ging auf, und die chemieblonde Sekretärin kam zurück. Hinter ihr kam ein extrem großer, extrem gebräunter und extrem gut aussehender Mann in dem schönsten Anzug, den Faith je gesehen hatte.
» Morgan Hollister«, sagte er und streckte die Hand aus, während er durchs Zimmer ging. Er war zugleich der attraktivste und der schwulste Mann, den Faith seit einer ganzen Weile getroffen hatte. In Atlanta, der Schwulenhauptstadt des Südens, hieß das eine ganze Menge.
» Ich bin Agent Trent,
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