Sara
ich konnte kaum erwarten, sie zu schreiben.) Er lehnte alle Angebote der hysterischen, erleichterten Mutter ab, ihm eine Belohnung zu geben, gab ihr aber schließlich eine Adresse, damit ihr Mann mit ihm reden konnte. Aber sowohl die Adresse wie auch sein Name, John Sanborn, erwiesen sich als falsch.
Zwei Jahre später sieht die Ex-Nutte mit dem achtbaren neuen Leben den Mann, der ihr Kind gerettet hat, auf der Titelseite einer Zeitung in Miami. Sein Name wird mit John Shackleford angegeben, und er wurde festgenommen, weil er ein neunjähriges Mädchen vergewaltigt und ermordet haben soll. Und, führt der Artikel weiter aus, möglicherweise gehen
mehr als vierzig weitere Morde auf sein Konto, die meisten Opfer Kinder. »Habt ihr den Baseballmützenmörder gefaßt?« ruft einer der Reporter bei der Pressekonferenz. »Ist John Shackleford der Baseballmützenmörder?«
»Nun«, sagte ich, als ich nach unten ging, »sie glauben es jedenfalls.«
Ich konnte heute nachmittag zu viele Boote auf dem See hören, als daß Nacktbaden in Frage gekommen wäre. Ich zog die Badehose an, warf mir ein Handtuch über die Schulter und ging den Weg hinab - der in meinem Traum von leuchtenden Lampions gesäumt gewesen war -, um den Schweiß meines Alptraums und der unerwarteten Arbeit des Vormittags abzuwaschen.
Dreiundzwanzig Stufen aus Eisenbahnschwellen lagen zwischen Sara und dem See. Ich war erst vier oder fünf hinuntergegangen, als mir die ganze Tragweite dessen, was geschehen war, bewußt wurde. Mein Mund zitterte. Die Farben von Bäumen und Himmel verschmolzen, als sich meine Augen mit Tränen füllten. Ein Geräusch entrang sich mir - eine Art gedämpftes Stöhnen. Meine Beine versagten ihren Dienst, und ich setzte mich hart auf eine der Schwellen. Einen Augenblick dachte ich, es wäre vorbei, nur ein falscher Alarm, und dann fing ich an zu weinen. Ich steckte mir den Zipfel des Handtuchs in den Mund, als es am schlimmsten war, weil ich fürchtete, die Bootfahrer auf dem See könnten die Geräusche hören, die ich von mir gab, und denken, es würde jemand ermordet.
Ich weinte vor Trauer über die einsamen Jahre, die ich ohne Jo, ohne Freunde, ohne meine Arbeit verbracht hatte. Ich weinte vor Dankbarkeit, weil diese Jahre vorbei zu sein schienen. Es war zu früh, um es mit Sicherheit zu sagen - eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und acht getippte Seiten bedeuten nicht das Wiedererwachen einer Karriere -, aber ich glaubte, daß ich es tatsächlich überstanden haben könnte. Und ich weinte auch vor Angst, wie wir es manchmal tun, wenn ein schreckliches Erlebnis zu Ende oder ein schlimmer Unfall gerade noch einmal abgewendet worden ist. Ich weinte, weil mir plötzlich klar wurde, daß ich seit Jos Tod auf
der weißen Linie ging, mitten auf der Straße. Durch ein Wunder war ich aus der Gefahrenzone getragen worden. Ich hatte keine Ahnung, wer mich getragen hatte, aber das machte nichts - es war eine Frage, die noch einen Tag warten konnte.
Ich weinte alles aus mir heraus. Dann ging ich zum See hinunter und watete hinein. Das kühle Wasser an meinem erhitzten Körper fühlte sich mehr als gut an; es fühlte sich an wie eine Auferstehung.
Kapitel 15
»Nennen Sie Ihren Namen für das Protokoll.«
»Michael Noonan.«
»Ihre Adresse?«
»Mein ständiger Wohnsitz ist in Derry, 14 Benton Street, aber ich besitze auch ein Haus im TR-90, am Dark Score Lake. Die Postanschrift lautet Postfach 832. Das Haus selbst liegt am Weg zweiundvierzig an der Route 68.«
Elmer Durgin, Kyra Devores Vormund ad litem , fuchtelte mit einer pummeligen Hand vor seinem Gesicht, entweder um ein Insekt zu verscheuchen oder um mir klarzumachen, daß es reichte. Ich stimmte ihm zu. Ich kam mir ein wenig wie das kleine Mädchen in Unsere kleine Stadt vor, das seine Adresse angab als Grover’s Corners, New Hampshire, Amerika, nördliche Hemisphäre, Welt, Sonnensystem, Milchstraße, Gottes Verstand. Vor allem war ich nervös. Ich hatte das Alter von vierzig Jahren erreicht und war immer noch Jungfrau, was Gerichtsangelegenheiten betraf, und obwohl wir uns im Sitzungszimmer von Durgin, Peters & Jarrette an der Bridge Street in Castle Rock befanden, war dies doch eine Angelegenheit des Gerichts.
Ein sonderbares Detail der Festivität soll nicht unerwähnt bleiben. Der Stenograph benutzte keine dieser Tastaturen auf einem Pfosten, die wie Rechenmaschinen aussehen, sondern eine Stenomaske, ein Gerät, das über seine untere Gesichtshälfte gestülpt
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