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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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noch hier draußen war. Ich stellte mir unsere Ehe als eine Art Spielhaus vor - und ist eine Ehe nicht zum großen Teil das? Man spielt Haus -, wo lediglich die Hälfte aller Habseligkeiten fest verankert war. Von kleinen Magneten oder verborgenen Kabeln festgehalten. Etwas war gekommen und hatte unser Spielhaus an einer Ecke hochgehoben - nichts leichter als das, und ich konnte wohl noch froh sein, daß dieses Etwas nicht beschlossen hatte, einfach mit dem Fuß auszuholen und das arme Haus mit einem Tritt umzustoßen. Sehen Sie, es hat nur
diese eine Ecke hochgehoben. Meine Sachen blieben, wo sie waren. Aber die von Jo waren alle verrutscht …
    Aus dem Haus raus und hierher.
    »Jo?« fragte ich und setzte mich auf ihren Stuhl. Keine Antwort. Kein Klopfen an der Wand. Keine Krähen oder Eulen, die aus dem Wald riefen. Ich legte meine Hand auf ihren Schreibtisch, wo die Schreibmaschine gestanden hatte, strich mit der Hand darüber und machte mir die Finger staubig.
    »Du fehlst mir, Liebling«, sagte ich und fing an zu weinen.
    Als die Tränen versiegt waren - wieder einmal -, wischte ich mir das Gesicht mit dem Saum des T-Shirts ab wie ein kleines Kind, dann sah ich mich um. An einer Wand hing das Bild von Sara Tidwell, an einer anderen ein Foto, an das ich mich nicht erinnern konnte - es war alt, sepiafarben und zeigte einen Wald. Bildmittelpunkt war ein mannshohes Kreuz aus Birkenholz auf einer kleinen Lichtung an einem Hang über dem See. Diese Lichtung war heute höchstwahrscheinlich aus der Geographie verschwunden und längst von nachwachsenden Bäumen vereinnahmt worden.
    Ich betrachtete ihre Gläser mit Kräutern und getrockneten Pilzen, ihre Aktenschränke, ihre Afghantücher. Den grünen Flickenteppich auf dem Boden. Der Topf mit Stiften auf dem Schreibtisch, Stifte, die sie berührt und benutzt hatte. Ich hielt einen für ein oder zwei Augenblicke über ein weißes Blatt Papier, aber nichts geschah. Ich hatte ein Gefühl, als wäre Leben in diesem Raum, ein Gefühl, als würde ich beobachtet … aber nicht das Gefühl, als ob mir geholfen würde.
    »Ich kenne einen Teil, aber nicht genug«, sagte ich. »Von allem, was ich nicht weiß, ist das Wichtigste wahrscheinlich, wer ›hilf ihr‹ auf den Kühlschrank geschrieben hat. Warst du das, Jo?«
    Keine Antwort.
    Ich blieb noch eine Zeitlang sitzen - hoffte wider besseres Wissen, nehme ich an -, dann stand ich auf, schaltete die Klimaanlage aus, schaltete die Lichter aus und ging im sanften, hellen Zucken verschwommener Blitze zum Haus zurück. Ich setzte mich eine Weile auf die Veranda und sah in die Nacht. Irgendwann wurde mir klar, daß ich das blaue Seidenband
aus der Tasche geholt hatte und nervös zwischen den Fingern hindurchgleiten ließ. Stammte es wirklich aus dem Jahr 1900? Der Gedanke kam mir vollkommen verrückt und gleichzeitig vollkommen plausibel vor. Die Nacht war heiß und still. Ich stellte mir vor, wie alte Leute überall im TR - vielleicht sogar in Motton und Harlow - ihre Kleidung für die morgige Beerdigung zurechtlegten. Im extragroßen Wohnwagen an der Wasp Hill Road saß Ki auf dem Boden und sah sich Das Dschungelbuch auf Video an - Balu und Mogli sangen ›Probier’s mal mit Gemütlichkeit‹. Mattie saß auf der Couch, hatte die Füße hochgelegt, las das neue Buch von Mary Higgins Clark und sang mit. Beide trugen kurze Pyjamas, Ki einen rosafarbenen, Mattie einen weißen.
    Nach einer Weile verlor ich das Gespür für sie; es verschwand so, wie es Rundfunksignale manchmal spät in der Nacht tun. Ich ging ins Schlafzimmer im Nordflügel, zog mich aus und kroch auf das Laken meines ungemachten Betts. Ich schlief fast sofort ein.
    Ich erwachte mitten in der Nacht, weil jemand mit einem heißen Finger über meine Wirbelsäule strich. Ich drehte mich herum, und als ein Blitz zuckte, konnte ich eine Frau bei mir im Bett sehen. Es war Sara Tidwell. Sie grinste. Ihre Augen hatten keine Pupillen. »Oh, Sugar, ich bin fast wieder da«, flüsterte sie in der Dunkelheit. Ich hatte das Gefühl, als würde sie wieder die Hand nach mir ausstrecken, aber als der nächste Blitz zuckte, war ihre Seite des Bettes leer.

Kapitel 24
    Inspiration ist nicht immer eine Frage von Geistern, die Magneten auf Kühlschranktüren bewegen, und am Dienstag morgen hatte ich eine grandiose Erleuchtung. Sie kam mir beim Rasieren, als ich an nichts anderes dachte als daran, das Bier für die Party nicht zu vergessen. Und sie kam, wie die besten Inspirationen, aus

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