Sara
machte die Kühlschranktür auf, um eine Cola herauszuholen. »Wer oder was auch immer du bist, hallo.«
Kapitel 11
Ich erwachte in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages mit dem Gefühl, als wäre jemand bei mir im Schlafzimmer des Nordflügels. Ich richtete mich im Kissen auf, rieb mir die Augen und sah einen dunklen, breitschultrigen Umriß zwischen mir und dem Fenster stehen.
»Wer bist du?« fragte ich und dachte mir, daß das Ding nicht mit Worten antworten würde; statt dessen würde es an die Wand klopfen. Einmal für ja, zweimal für nein - was geht in deinem Kopf vor, Houdini? Aber die Gestalt, die am Fenster stand, gab überhaupt keine Antwort von sich. Ich tastete um mich, fand die Kordel des Lichts über dem Bett und zog daran. Den Mund hatte ich zu einer Grimasse verzerrt, meine Bauchdecke fühlte sich so verspannt an, als ob Gewehrkugeln daran abgeprallt wären.
»O verdammt«, sagte ich. »Scheiß die Wand an.«
Meine alte Jeansjacke baumelte an einem Kleiderbügel, den ich an die Vorhangstange gehängt hatte. Ich hatte sie beim Auspacken dort geparkt und dann vergessen, sie wegzuräumen. Ich versuchte zu lachen, schaffte es aber nicht. Um drei Uhr morgens war es einfach nicht komisch.
Ich schaltete das Licht ab, legte mich mit offenen Augen zurück und wartete darauf, daß Bunters Glöckchen läuten oder das kindliche Schluchzen wieder anfangen würde. Ich lauschte immer noch, als ich einschlief.
Rund sieben Stunden später bereitete ich mich darauf vor, Jos Atelier einen Besuch abzustatten und nachzusehen, ob die Plastikeulen sich in der Abstellkammer befanden, wo ich am Tag zuvor nicht nachgesehen hatte, als ein Ford - älteres Modell - die Einfahrt heruntergerollt kam und Nase an Nase vor meinem Chevy hielt. Ich war bis zu dem kurzen Pfad zwischen Haus und Atelier gekommen, aber nun drehte ich um. Der Tag war heiß, es wehte kein Lüftchen, und ich trug nichts
als ein Paar abgeschnittene Jeans und Plastiksandalen an den Füßen.
Jo hatte immer behauptet, daß der Cleveland-Bekleidungsstil sich ganz von selbst in zwei Unterkategorien einteilte: Cleveland-förmlich und Cleveland-lässig. Mein Besucher am Dienstagmorgen trug Cleveland-lässig - Hawaiihemd mit Ananas und Affen, braune Hosen Marke Banana Republic, weiße Halbschuhe. Socken sind ein Kann, kein Muß, aber weiße Fußbekleidung ist ein zwingender Bestandteil des Cleveland-Outfits, ebenso mindestens ein Stück abgeschmackten Goldschmucks. In letzter Beziehung ließ dieser Bursche keinen Wunsch offen: Er trug eine Rolex an einem Handgelenk und ein Goldkettchen um den Hals. Ein Hemdzipfel hing heraus, eine verräterische Wölbung war hinten zu sehen. Es war entweder eine Waffe oder ein Piepser, sah aber zu groß für einen Piepser aus. Ich betrachtete wieder das Auto. Blackwell-Reifen. Und am Armaturenbrett, seht euch das an, eine zugedeckte blaue Leuchte. Damit ich mich unbemerkt an dich anschleichen kann, Großmama.
»Michael Noonan?« Er war auf eine Weise hübsch, die ein bestimmter Typ Frau anziehend finden würde - Frauen, die zusammenzucken, wenn jemand in ihrer unmittelbaren Umgebung die Stimme hebt; die nie die Polizei rufen, wenn zu Hause die Dinge außer Kontrolle geraten, weil sie im Grunde ihres Herzens glauben, sie hätten verdient, daß zu Hause die Dinge außer Kontrolle geraten. Eine Eskalation, die nicht vor blauen Augen, ausgerenkten Ellbogen oder auch der gelegentlichen Brandwunde einer Zigarette auf der Brust haltmacht. Frauen, die ihre Ehemänner oder Liebhaber nicht selten Daddy nennen, beispielsweise: »Kann ich dir ein Bier bringen, Daddy?« oder »Hattest du einen schweren Tag bei der Arbeit, Daddy?«
»Ja, ich bin Michael Noonan. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Diese Version von Daddy drehte sich um, bückte sich und hob etwas aus dem Durcheinander von Papieren auf der Beifahrerseite der vorderen Sitzbank auf. Unter dem Armaturenbrett krächzte ein Funkgerät kurz auf und verstummte. Er drehte sich mit einem länglichen, fleischfarbenen Ordner zu mir um. Hielt ihn mir hin. »Das gehört Ihnen.«
Als ich den Ordner nicht nahm, kam er auf mich zu und versuchte, ihn mir in eine Hand zu drücken, was mich veranlassen sollte, die Finger in einer Art Reflex darum zu schließen. Statt dessen hob ich beide Hände in Schulterhöhe, als hätte er gerade gesagt, Hände hoch, Muggsy.
Er sah mich geduldig an; sein Gesicht war so irisch wie das der Gebrüder Arlen, allerdings ohne ihren typischen Ausdruck
Weitere Kostenlose Bücher