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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hatten die Wiese und ein gutes Stück des Seeufers von einem Mann namens Douglas Day gekauft. Das Geld hatten sie über einen Zeitraum von zehn Jahren zusammengespart, wie Sonny Tidwell erklärte, der die Kaufverhandlungen führte (als Red-Top hatte Son Tidwell etwas gespielt, das man als ›Chickenscratch-Gitarre‹ bezeichnete).
    In der Stadt hatte es deswegen einen gewaltigen Aufstand gegeben, und sogar eine Versammlung, um gegen ›die Ankunft dieser Farbigen, die nicht als Familie, sondern als Horde kommen‹, zu protestieren. Die Lage hatte sich wieder beruhigt, die Befürchtungen hatten sich in Wohlgefallen aufgelöst, wie es öfter der Fall ist als das Gegenteil. Die verwahrloste Siedlung, die die meisten Einheimischen auf Day’s Hill erwartet hatten (so wurde Tidwell’s Meadow 1900 genannt, als Son Tidwell das Land für seinen weitverzweigten Klan kaufte), war nie entstanden. Statt dessen wurden ein paar hübsche weiße Holzhäuser gebaut, die um ein größeres Gebäude herum standen, das als Versammlungsort, Probenraum und vielleicht sogar einmal als Veranstaltungssaal gedacht gewesen war.
    Sara and the Red-Top Boys (manchmal gehörte auch ein Red-Top Girl dazu; die Mitgliedschaft in der Band war fließend und änderte sich mit jedem Auftritt) spielten über ein Jahr, vielleicht eher zwei, im ganzen westlichen Maine. In den Städten entlang der Western Line - Farmington, Skowhegan, Bridgton, Gates Falls, Castle Rock, Motton, Fryeburg - kann man auf Flohmärkten und in Trödelläden bis heute ihre alten Konzertplakate finden. Sara and the Red-Tops waren die Lieblinge des Publikums ihrer Konzerte und kamen auch zu Hause im TR ganz gut zurecht, was mich nie überraschte. Letzten Endes hatte Robert Frost - der pragmatische und oft unfreundliche Dichter - doch recht: In den drei nordöstlichen Staaten glauben wir wirklich, daß gute Zäune gute Nachbarn
machen. Wir beklagen uns vehement und halten dann einen kläglichen Frieden, einen Frieden mit stechenden Augen und nach unten gezogenen Mundwinkeln. »Sie bezahlen ihre Rechnungen«, sagen wir. »Ich mußte nie einen ihrer Hunde erschießen«, sagen wir. »Sie bleiben unter sich«, sagen wir, als wäre Abgrenzung eine Tugend. Und natürlich die Kardinalstugend: »Sie nehmen keine Almosen.«
    Und an irgendeinem Punkt wurde Sara Tidwell zu Sara Lacht.
    Am Ende aber kann TR-90 doch nicht gewesen sein, was sie gewollt hatten, denn nachdem sie im Spätsommer 1901 bei einer oder zwei Jahrmarktsfeiern aufgetreten waren, zog der Klan weiter. Ihre hübschen kleinen Häuser lieferten der Familie Day Nebeneinkünfte als Sommerhäuser bis 1933, als sie in dem Feuer niederbrannten, das die Ost- und Nordseite des Sees verwüstete. Ende der Geschichte.
    Das hieß, bis auf ihre Musik. Ihre Musik hatte überlebt.
    Ich stand von dem Felsen auf, auf dem ich gesessen hatte, streckte Arme und Rücken, ging den Weg zurück und sang dabei eines ihrer Lieder.

Kapitel 12
    Auf dem Rückweg zu meinem Haus versuchte ich, an gar nichts zu denken. Mein erster Lektor pflegte zu sagen, daß fünfundachtzig Prozent von dem, was im Kopf eines Romanautors vor sich geht, nicht seine Sache ist, ein Vorbehalt, der meiner Ansicht nach nicht nur auf Schriftsteller beschränkt sein sollte. Das sogenannte höhere Denken ist im Grunde genommen völlig überschätzt. Wenn es Ärger gibt und Schritte unternommen werden müssen, finde ich es generell besser, einfach beiseite zu treten und die Jungs im Keller ihre Arbeit machen zu lassen. Das ist richtig schwere Arbeit da unten, für Männer, die nicht in der Gewerkschaft sind und jede Menge Muskeln und Tätowierungen haben. Instinkt ist ihre Spezialität, und sie geben Probleme nur im äußersten Notfall zum eigentlichen Überdenken nach oben weiter.
     
    Als ich versuchte, Mattie Devore anzurufen, geschah etwas höchst Eigentümliches - etwas, das nichts mit Spuk zu tun hatte, soweit ich sehe. Statt des Summens der freien Leitung bekam ich nur Stille, als ich die Belegungstaste des Mobilteils drückte. Als ich gerade dachte, ich hätte wohl das Telefon im Schlafzimmer nicht wieder aufgelegt, stellte ich fest, daß es keine vollkommene Stille war. So fern wie eine Funkübertragung aus der Tiefe des Weltraums, fröhlich und quakend wie eine Zeichentrickente, sang ein Kerl mit einem ganz ordentlichen Brooklyner Akzent in der Stimme: »He followed her to school one day, school one day, school one day. He followed her to school one day, which was against the

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