Sarah Boils Bluterbe (German Edition)
blickte zu ihm hoch. Sein Kopf neigte sich leicht zu mir und er sah mich an. In seinen Augen sah ich das erste Mal einen warmen, fast schon besorgten und fürsorglichen Ausdruck. Fragend und überrascht flüsterte ich: „Kannst du meine Gefühle auch empfinden?“
„Nein, aber ich kann sie riechen, glaube ich,“ zischte er durch die Zähne. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, veränderte sich sein Gesicht in rasender Geschwindigkeit.
Ich wollte gerade noch erwähnen, dass er eigentlich gar kein so schlechter Kerl war, da schossen erneut seine Zähne aus dem Kiefer und seine Augen leuchten goldener, als je zuvor, auf. Er schubste mich mit einem kräftigen Stoß von sich und ich schlug schmerzhaft mit dem Rücken gegen einen Betonfeiler. Seine vorher noch raue und beruhigende Stimme verwandelte sich plötzlich in ein dunkles Brummen und Knurren. Ich stöhnte auf. Mein Schulterblatt war geprellt und ich japste nach Luft.
„Was tust du da?“
Mit aufgerissenen Augen stand ich ihm gegenüber. Die Bestie in ihm, zog den linken Mundwinkel hoch und drohte mit einem beängstigen Grollen: „Versuche nie wieder meine Emotionen zu wecken. Ich bin kein Seelentröster für meine Beute. Wenn du mir noch einmal zu nah kommst und mich mit deinen Gefühlen überschwemmst, dann vergesse ich mich und du bist tot.“
Ich? Gefühle? Er ist wohl nicht ganz bei Trost.
„Lionel,“ hauchte ich entsetzt und suchte in der Leere seines Blickes, nach jenem letzten kleinen Stück Leben, dass man Seele nennt. Jenes Gefühl, dass eben noch in seinem Blick lag. Es war verschwunden. Fort!
Ich machte langsam und unbeholfen einen Schritt zur Seite und begann plötzlich zu laufen. So schnell wie meine Beine mich trugen, preschte ich durch die dunkle Seitenstraße, vorbei an den parkenden Autos und dem langen Gitterzaun der den kleinen Friedhof umsäumte. An der nächsten Straßenecke schaute ich noch einmal zurück. Er war fort. Ich lief die letzten Meter nach Hause und kramte den Schlüssel aus der Tasche. Dann schlich ich auf Zehenspitzen durch den kleinen Flur direkt ins Badezimmer. Dort riss ich mir die Klamotten vom Leib und schmiss sie allesamt in die Badewanne. Zum Duschen war es längst zu spät. Ich würde Martin nur unnötig auf mich aufmerksam machen. So verschwitzt wie ich war, tapste ich auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer und legte mich vorsichtig neben ihn ins Bett. Ich schaute wie jedem Abend aus dem Fenster. Der Himmel war in dieser Nacht bewölkt. Das trübe Grau zog über die Wipfel der Bäume hinweg.
Was für eine Nacht.
„Wo kommst Du her?“
Martins Stimme ließ mich zusammenzucken.
„Du bist noch wach,“ stammelte ich und suchte krampfhaft nach eine Ausrede. Sein Schweigen machte es mir nicht einfacher.
„Du glaubst ja nicht, was mir heute passiert ist,“ und so begann meine erste Lüge. Er öffnete leicht die Augen, hob den Kopf an und gähnte: „Da bin ich ja mal gespannt.“
„Es war ne Menge los heute am Rhein, vor meinen Augen ist eine Frau kollabiert, ich habe sie ins Krankenhaus gebracht und gewartet bis ihre Familie kam. Ich wollte anrufen, aber mein Akku war leer und du weißt doch, dass ich mir keine Nummern merken kann.“
Ich hasste Lügen und war froh, dass die Dunkelheit mich in diesem Augenblick schützend ummantelte. Ich hätte ihm dabei nur schwer ins Gesicht sehen können, ohne dass ihm mein schlechtes Gewissen aufgefallen wäre. Aber was für eine Wahl hatte ich? Wie hätte ich ihm erklären sollen, dass ich mich mitten in der Nacht mit einem Vampir unter der Erde herum trieb und dort ein paar Menschen mit weiteren Vampiren ihre Rituale abhielten, um Tieren die Köpfe abzuschlagen? Er hätte sofort meine Mutter informiert und dann wäre die Bombe geplatzt. Nein, da war diese kleine, fast schon unschuldige Lüge sinnvoll.
Oh ich hasse mich dafür.
Martin wirkte kurz irritiert, schien meinen Worten jedoch Glauben zu schenken. Er zog mich zu sich, gab mir einen flüchtigen Kuss und vergrub dann seinen Kopf auf meinem Brustkorb.
„Du bist einfach eine gute Seele, mein Schatz.“
Ich schluckte. Ja, ich war die gute Fee und um mich herum lungerte ein braver Kobold, der natürlich nur Gutes im Schilde führte. Zum Glück schlief er sofort wieder ein und ich atmete erleichtert auf. Ich schloss langsam die Augen. Ich war müde und fertig. Alles was ich jetzt brauchte, war Schlaf und davon eine ganze Menge. Der Ton des Weckers, schlug am nächsten Morgen wie ein Bombenanschlag in meine
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