Sarah Maclean
tun,
als sich der reinen Empfindung zu überlassen. Sie schrie seinen
Namen, als um sie die Welt zersplitterte.
Sein Mund wurde weicher, seine Finger hielten still, während
sie allmählich wieder in den Tag, den Raum zurückfand. Er hob
den Kopf und beobachtete sie aufmerksam, als sie die Augen
öffnete und seinem Blick begegnete, der von Leidenschaft und
Befriedigung und etwas anderem erfüllt war, was sie nicht be-
nennen konnte. Er beugte sich vor und bemächtigte sich ihrer
Lippen mit einer dunklen Intensität, die ihr fremd war. Sein
Kuss fühlte sich mehr wie ein Brandzeichen denn wie eine
Liebkosung an.
Im nächsten Moment entzog er sich ihr und sagte mit har-
scher Stimme: „Du willst mich also doch."
Die Worte drangen durch den Nebel an Gefühlen, der sie um-
gab, und sie versteifte sich sofort. Mit lebhafter Klarheit er-
kannte sie, was er damit sagen wollte. Nicht die Leidenschaft
hatte ihn dazu getrieben, sie am helllichten Tag in seinem Ar-
beitszimmer zu befriedigen, sondern das Bedürfnis, sich und
seine männliche Überlegenheit zu beweisen. Das hier war
nichts weiter als ein Wettbewerb; sie war nichts anderes als eine
Trophäe.
Er wollte sie nicht... natürlich nicht. Sie war ja auch reizlos
und spröde.
Bei dem Gedanken wurde ihr eiskalt. Callie richtete sich auf
und schob ihn mit aller Kraft von sich, sodass er zurücktaumel-
te. Mit einem Mal wollte sie unbedingt weg von seinem Mund,
seinen Händen, seiner Hitze. Sie stand auf, strich aufs Gerate-
wohl ihre Röcke glatt, stolperte an ihm vorbei und eilte zur Tür.
Hauptsache weg von ihm.
„Callie ...", sagte er, stand ebenfalls auf und folgte ihr. Sie
drehte sich um, sah, dass er dicht hinter ihr stand, und streckte
die Hand aus, als könnte sie ihn dadurch aufhalten. Als könnte
sie dadurch verhindern, dass er zu fest in ihrem Herz Wurzeln
schlug. Als wäre es dafür nicht schon längst zu spät.
Mit zerzaustem Haar, aufgelöstem Krawattentuch, aufge-
knöpfter Weste bot Ralston ein Bild der Ausschweifung. In
diesem Augenblick stand außer Frage, dass Gabriel St. John,
Marquess of Ralston, ein Wüstling reinsten Wassers war. Ein In-
termezzo wie dieses hatte er sicher schon mit zahllosen anderen
Frauen gehabt - vermutlich, um sich auf genau dieselbe Art zu
beweisen. Callie schüttelte den Kopf. Sie war enttäuscht von
sich. Dass sie ihm nichts bedeutete, war so offensichtlich. Wieso
hatte sie das nur nicht gesehen?
Weil du es nicht sehen wolltest. Du bist Selene. Dazu ver-
dammt, einen ewig schlafenden Sterblichen zu lieben. Sie
schloss die Augen, unterdrückte die Tränen mit reiner Willens-
kraft. Zumindest so lange, bis sie den Raum verlassen hatte.
Und sein Haus.
Arrogant hob er eine Braue. „Leugnest du es?"
Sie war verletzt, und sie konnte es nicht länger verbergen. Mit
kleinlauter Stimme sagte sie: „Ich leugne es nicht. Es warst im-
mer nur du."
Aufmerksam beobachtete sie seine Reaktion, beobachtete,
wie ihm klar wurde, dass sie die Wahrheit sagte. Und dann er-
gänzte sie: „Ich wünschte einfach, es wäre jemand anders." Mit
diesen Worten drehte sie sich um und - zum Kuckuck mit dem
Stolz - floh aus dem Zimmer.
Er sah ihr nach, anscheinend unbewegt. Erst als er die Haus-
tür ins Schloss fallen hörte, fluchte er lauthals, dass es im gan-
zen Zimmer widerhallte.
Viel später saß Ralston an seinem Pianoforte und hoffte, dass
sein Instrument auch diesmal die Aufgabe erfüllen würde, die
es schon sein Leben lang übernommen hatte: ihm beim Verges-
sen zu helfen. Er spielte energisch - mit einer Kraft, die dem
Instrument unbändige Töne entlockte. Die Noten erklangen
rasch, wild, seine Finger flogen über die Tasten, und er schloss
die Augen und wartete darauf, dass die Musik Callie aus seinem
Kopf vertrieb. Es warst immer nur du.
Die Musik hüllte ihn ein. Er verharrte bei den tieferen Tönen,
den dunkleren, und goss all seine Emotionen in sein Spiel. Der
Klang, poetisch und sehnsuchtsvoll, war wie eine Strafe für ihn,
da er ihm immer wieder Callies Miene in Erinnerung rief, ihre
verletzte, schmerzerfüllte Miene, kurz bevor sie aus dem Haus
geflohen war. Bevor sie vor ihm geflohen war.
Ich wünschte einfach, es wäre jemand anders.
Er fluchte, und das Geräusch wurde vom Pianoforte ge-
schluckt. Ihre kühle Reaktion auf ihn - wahrlich wohlverdient -
hatte ihn dennoch mit dem Wunsch erfüllt, sie in Besitz zu neh-
men. Als die seine zu
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