Sarah Maclean
der
einzige Mann hier."
Sie tat ihm nicht den Gefallen, ihn die Wahrheit wissen zu
lassen. „Oxford war überaus entgegenkommend."
„Entgegenkommend", wiederholte Ralston. „Klingt ja, als
wäre er ein Empfangskomitee, finden Sie nicht?"
Sie verbarg nicht, wie erbittert sie war. „Wollten Sie etwas
von mir, Mylord?"
„Eine interessante Frage", meinte er rätselhaft und fügte hin-
zu: „Ich möchte gern mit Ihnen reden."
Plötzlich kam Oxford ihr wie das kleinere Übel vor. „Jetzt
passt es mir aber nicht. Vielleicht ein andermal? Ich bin in Be-
gleitung hier." Energisch wandte sie sich von ihm ab, um sich
rasch zu entfernen.
„Mir scheint, Ihre Begleitung hat Sie sich selbst überlassen",
beobachtete Ralston ironisch. „Ich kann doch nicht zulassen,
dass Sie sich allein durch dieses Gedränge schieben. Das wäre
ganz und gar nicht das Benehmen eines Gentlemans."
Zorn loderte auf. Kann er mich nicht einfach in Ruhe las-
sen? Callie kniff die Augen zusammen. „Ja, natürlich würden
Sie nicht wollen, dass man Sie für etwas anderes als einen Gen-
tleman hält." Die leichte Betonung des Wortes sprach Bände.
„Sie brauchen sich nicht zu sorgen, Mylord. Bestimmt kommt
Oxford bald zurück."
„In diesem Gewühl? Darauf würde ich mich nicht verlassen",
meinte er trocken.
Der Mann war zum Verzweifeln. Callie wollte einfach gehen,
musste aber feststellen, dass die Menschenmenge zu dicht war
und sie nicht entkommen konnte. Wütend stampfte sie mit dem
Fuß auf. „Das haben Sie mit Absicht gemacht", sagte sie mür-
risch.
„Sie glauben, ich habe all diese Leute hergelockt, um Ihnen
eine Falle zu stellen?"
„Das würde ich Ihnen durchaus zutrauen."
„Da überschätzen Sie meine Macht über den ton aber gründ-
lich, Kaiserin."
Sie errötete, als sie den vertraulichen Spitznamen hörte, und
flüsterte: „Nennen Sie mich nicht so."
Er nahm sie am Ellenbogen und führte sie in die westliche
Galerie. Sie protestierte kurz, erkannte dann aber, dass sie Auf-
merksamkeit erregen würde, wenn sie sich aus seinem Griff
wand. Dem Klatsch wollte sie natürlich keine Nahrung geben.
Sobald sie in der westlichen Galerie waren, gab er ihren Ell-
bogen frei, führte sie jedoch durch die Menschenmenge, die
sich vor den unzähligen Bildern drängte, ans hintere Ende des
Raums, das mit einem riesigen Wandschirm abgetrennt war.
„Wohin führen Sie mich da?", flüsterte sie. Ihr Blick huschte
unstet zwischen den vielen Menschen im Raum umher, denen
anscheinend nicht auffiel, dass sie soeben entführt wurde.
Er schob sie hinter den Wandschirm und folgte ihr in den stil-
len Alkoven, wo sie plötzlich wieder allein waren. Callie wur-
de erneut von ihren Gefühlen übermannt, einer Mischung aus
Furcht und Erregimg. Der riesige Wandschirm aus Mahagoni
war mehrere Fuß von der Wand mit den nach Westen hinausge-
henden Fenstern aufgestellt worden, damit die Besucher beim
Betrachten der Bilder nicht durch Sonnenstrahlen gestört wur-
den. Der Wandschirm endete hoch über ihren Köpfen, fing den
hellen Sonnenschein ein und dämpfte die Geräusche auf der
anderen Seite.
Genau der richtige Ort für ein Stelldichein. Callie schob den
Gedanken beiseite und beschwor den Zorn und die Kränkung
herauf, die sie seit ihrer letzten Begegnung immer wieder emp-
funden hatte. Sie durfte nicht zulassen, dass er die Oberhand
behielt. Nicht hier. „Sind Sie verrückt geworden?", flüsterte sie
wütend.
„Niemand hat uns gesehen."
„Woher wollen Sie das wissen?"
„Weil ich es weiß." Er streckte die Hand aus, um ihr Gesicht
zu berühren.
Sie zuckte zurück. „Eassen Sie mich nicht an."
In seinen Augen blitzte ein Gefühl auf, doch bevor sie es be-
nennen konnte, war es schon wieder verschwunden. „Ich würde
nie etwas tun, um Ihren guten Ruf zu gefährden, Callie." Die
Worte klangen ehrlich.
„Verzeihen Sie, Mylord, aber ich habe eher den Eindruck,
dass Sie meinen guten Ruf leichtfertig aufs Spiel setzen, sobald
Sie nur in meiner Nähe sind", stieß sie hervor. Sie wollte ihn
unbedingt verletzten - er sollte denselben Schmerz spüren, den
sie die letzten Tage durchlitten hatte.
Ralston grinste schief. „Das habe ich wohl verdient."
„Und noch viel mehr." Kühn sah sie ihm in die Augen. „Ich
habe Ihnen damals in Ihrem Ballsaal gesagt, dass ich genug von
derlei Intermezzos habe. Und von Ihnen. Sie haben mein Inte-
resse ganz erstaunlich fehlinterpretiert. Und wenn
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