Sarah Maclean
Tunika und entblößte seine Brust, wetter-
gegerbt von den vielen Jahren in der ägäischen Sonne und wie
in Marmor gehauen. Als er bei ihr ankam und sie in die Arme
schloss, stellte sie sich die Wärme der Umarmung vor und wie
klein sie neben ihm wirkte. Auf diesen Augenblick hatte er Jah-
re gewartet ... genau wie sie.
Er strich über ihre Haut, legte eine Spur aus Feuer, wo immer
er sie berührte, und dann beugte er sich herab, um sie zu küs-
sen. Sie spürte, wie er sich an sie drückte, spürte seine Hände an
ihrem Gesicht, seine starken, sinnlichen Lippen, die sich direkt
vor ihren eigenen teilten. Kurz bevor er ihren Mund mit einem
brennenden Kuss verschloss, sagte er etwas, so leise, dass sie es
kaum hören konnte.
„CALLIE!"
Sie fuhr auf und ließ das Buch fallen, aufgestört von dem
lauten Geschrei vor der Bibliothek. Sie räusperte sich. Ihr Herz
klopfte immer noch ziemlich heftig, und insgeheim wünsch-
te sie sich, derjenige, der diesen Lärm veranstalte, möge doch
weggehen und sie ihrem Tagtraum überlassen. Der Gedanke
war flüchtig, wurde mit einem Seufzer unterdrückt - Callie
Hartwell war besonders wohlerzogen und würde niemals je-
manden ignorieren, der nach ihr rief. Sosehr sie das auch woll-
te.
Die Tür zur Bibliothek flog auf, und ihre Schwester kam he-
reingestürzt, voll Energie und Aufregung. „Callie! Da bist du
ja! Ich habe überall nach dir gesucht!"
Callie warf einen Blick auf das leuchtende, aufgeregte Ge-
sicht ihrer Schwester und musste lächeln. Mariana war schon
immer eine charmante, übersprudelnde Naturgewalt gewesen -
jeder, der sie sah, schloss sie sofort ins Herz. Mit achtzehn war
Mariana die Königin der Saison ... die Debütantin, welche die
Aufmerksamkeit des gesamten ton gewann - und den Spitzna-
men Allendale-Engelchen.
Im weichen Licht der Bibliothek leuchtete ihr butterblumen-
gelbes Kleid aus feinem Chiffon ebenso strahlend wie ihr süßes,
liebevolles Lächeln, ihre kastanienbraunen Locken glänzten -
Callie wunderte sich nicht, dass die Londoner Gesellschaft ih-
rer Schwester förmlich zu Füßen lag. Es fiel schwer, Mariana
nicht zu lieben.
Selbst wenn ihre Vollkommenheit für eine viel ältere, viel un-
vollkommenere Schwester manchmal recht schwer zu ertragen
war.
Mit neckendem Lächeln sagte Callie: „Wozu solltest du mich
wohl brauchen? Ich finde, du hast heute schon einiges allein
vollbracht, Mariana!"
Über Marianas Porzellanteint breitete sich ein hübsches
Rosa - Callie hätte sie um diese zarte, ebenmäßige Röte benei-
det, wenn ihr dieses makellose Erröten nicht schon ein Leben
lang vertraut gewesen wäre. „Callie! Ich kann es nicht fassen!
Ich zwicke mich schon den ganzen Tag, weil ich glaube, ich
träume!" Mariana lief durch den Raum und ließ sich in den
Sessel gegenüber ihrer Schwester fallen. In ganz benommenem
Ton fuhr sie fort: „Er hat mir tatsächlich einen Heiratsantrag
gemacht! Das ist doch kaum zu glauben! Ist es nicht wunder-
bar?"
„Er" war in diesem Fall James Talbott, sechster Duke of Ri-
vington und begehrtester Junggeselle von ganz England. Zu
Beginn der Saison hatte der junge, attraktive, reiche Herzog
einen Blick auf Mariana geworfen und sich Hals über Kopf in
sie verliebt. Darauf war eine stürmische Brautwerbung gefolgt,
und an diesem Morgen hatte der junge Duke seine Aufwartung
im Allendale House gemacht und um Marianas Hand gebeten.
Angesichts von Rivingtons Nervosität hatte Callie ihre Heiter-
keit kaum bezähmen können - trotz seines Titels und all seines
Reichtums konnte er Marianas Antwort offensichtlich kaum
abwarten, ein Umstand, der ihn Callie nur noch mehr ans Herz
wachsen ließ.
„Mir fällt es nicht schwer, es zu glauben, meine Süße." Sie
lachte. „Als er heute hier ankam, haben seine Augen richtig ge-
leuchtet ... genau wie jetzt deine." Schüchtern senkte Mariana
den Blick, während Callie fortfuhr: „Aber du musst mir alles
erzählen. Wie fühlt es sich an, einen Mann gefunden zu haben,
der dich so liebt? Und dann auch noch einen Duke!"
„Ach, Callie", schwärmte Mariana, „auf den Titel gebe ich
keinen Penny! Mir geht es allein um James. Ist er nicht der wun-
derbarste Mann?"
„Und dann auch noch ein Duke!" Überrascht drehten sich
die beiden Frauen um, als diese in schriller Erregung hervor-
gestoßene Bemerkung von der Tür herübertönte. Callie seufzte,
als sie daran dachte, was sie vorhin überhaupt erst dazu
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