Sarah Maclean
spät, und ein neues Mitglied des
ton tat gut daran, nicht gerade auf seinem ersten Ball zu spät
zu erscheinen. Ralston weiß das doch bestimmt, dachte Callie,
während sie den Saal nach der jüngeren Frau absuchte.
Sie waren sich darin einig gewesen, dass der Ball bei den
Salisburys ideal war, Juliana in die Gesellschaft einzuführen.
Dieser Ball, einer der größten der Saison, wurde jedes Jahr
von den ausnehmend freundlichen Salisburys veranstaltet,
die Callie immer als eines der angenehmsten Paare in London
betrachtet hatte. Beim Tod ihres Vaters hatten Lord und Lady
Salisbury sie besonders unterstützt - Callies am Boden zer-
störte Mutter ebenso wie den jungen, schlecht vorbereiteten
Benedick, der die Hilfestellung des Earl of Salisbury dringend
brauchen konnte. Die Salisburys waren Freunde, und sie wür-
den Juliana und Ralston fraglos willkommen heißen. Dessen
war Callie sich sicher.
Vorausgesetzt natürlich, sie trafen überhaupt noch ein.
Callie seufzte. Sie war ebenso nervös wie bei ihrem eigenen
Debüt.
„Sie kommen schon noch", meinte Mariana ruhig. „Ich ken-
ne Ralston bei Weitem nicht so gut wie du, aber doch gut ge-
nug, um mir sicher zu sein, dass er diesen Abend nicht verpas-
sen würde." Sie warf Callie einen verschmitzten Blick zu. „Und
wenn er dich in diesem Kleid sieht, wird er froh sein, den Ball
nicht verpasst zu haben."
Callie rollte mit den Augen und meinte trocken: „Das ist ein
bisschen zu viel, Mariana, selbst für deine Verhältnisse."
Mariana lachte und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht...
aber es stimmt doch. Madame Hebert hat sich selbst übertrof-
fen. Es ist ein atemberaubendes Kleid."
Callie sah an sich selbst herunter, auf den Fall der blauen Sei-
de und den weiten Rock, der bei jedem Schritt mitschwang. Der
Stoff, den sie bisher nur bei Tageslicht gesehen hatte, nahm bei
Kerzenschein einen vollkommen neuen Glanz an. Er schimmer-
te, als wäre er lebendig, wie der blaueste Ozean. Sie lächelte ein
wenig, als sie daran dachte, wie sie sich im Spiegel betrachtet
hatte. Verschwunden war die vertrocknete alte Jungfer mit dem
Spitzenhäubchen; dieses Kleid hatte sie völlig verwandelt.
„Sie sind da."
Marianas Bemerkung riss Callie aus ihren Träumereien, und
sie blickte zum Eingang des Ballsaals, wo eine breite Treppe
den Ballgästen einen ausgezeichneten Blick auf die Neuan-
kömmlinge bot. Am Rand der Treppe und am Treppenabsatz
darüber drängten sich die Menschen, doch das Trio, das eben
eingetroffen war, war nicht zu übersehen.
Juliana gab ihren schneeweißen Mantel ab und stand dann
hoch aufgerichtet oben an der Treppe. Ihr zartrosa Kleid mit
der hohen Taille war für den Anlass perfekt - wunderschön
gearbeitet, aber nicht protzig. Direkt hinter ihr kamen Rals-
ton und St. John, legten ihre Mäntel ab und traten neben ihre
Schwester. Beide wirkten entschlossen, Juliana zu beschützen,
und blickten von oben auf die Menge herab, als bereiteten sie
sich auf eine Schlacht vor. Um Callies Mund spielte ein Lä-
cheln. Für die Leute im Saal kam die Londoner Gesellschaft
einem Schlachtfeld vielleicht so nahe wie nichts sonst.
Callies Blick blieb an Ralston hängen. Ihr klopfte das Herz bis
zum Hals. Sie betrachtete das feste Kinn, die kühle Entschlos-
senheit in seinen Augen - die so blau waren, dass sie die Earbe
von ihrem Standpunkt in der Mitte des Ballsaals aus erkennen
konnte. Und dann sah er sie an. Ihr wurde warm, als sein Blick
über sie strich und auf ihr verweilte. Unbewusst seufzte sie, ein
tiefer, resignierter Seufzer, worauf Mariana sie mit dem Ellbo-
gen anstieß. „Callie, versuch doch bitte, dich nicht zu beneh-
men, als wärst du wahnsinnig in diesen Mann verliebt, ja?"
Callie fuhr herum zu ihrer Schwester und flüsterte empört:
„Bin ich doch gar nicht!"
„Mmm. Und ich bin Königin Charlotte", erwiderte Mariana
trocken. Sie ignorierte den wütenden Blick ihrer Schwester und
meinte: „Jetzt ist es also so weit."
Callie folgte Marianas Blick und sah, wie Juliana der Coun-
tess und dem Earl of Salisbury vorgestellt wurde. Sie sah zu,
wie die junge Frau einen makellosen Knicks vollführte, mit nie-
dergeschlagenen Augen und heiterem Lächeln. Ihr langer Hals
verlieh ihr eine schwanenhafte Anmut, die sicher den Neid je-
der Frau im Raum hervorrief, die sie beobachtete. Und sie be-
obachteten sie alle.
Mariana stieß einen zufriedenen Laut aus. „Sie macht das
besser, als
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