Sarah Maclean
nicht, was er sagen sollte,
wollte aber unbedingt etwas sagen, irgendetwas, was sie dazu
bringen würde, ihn zu heiraten.
Sie hielt eine Hand hoch, und Ralston staunte flüchtig darü-
ber, wie ruhig sie war. „Bitte, Gabriel. Wenn du dir auch nur ir-
gendetwas aus mir machst", wiederholte, „dann geh bitte weg.
Geh weg und lass mich in Ruhe."
Und weil dies die einzige Bitte war, die er ihr erfüllen konnte,
ging er.
Callie saß lange in dem stillen Raum, ließ sich von der Dun-
kelheit einhüllen. Die Tränen waren bald versiegt, machten ei-
ner tiefen Trauer Platz, die aus dem Gefühl der Endgültigkeit
resultierte, das ihre Begegnung mit Ralston mit sich gebracht
hatte.
Denn in diesem Moment wusste sie mit absoluter Sicherheit,
dass sie für immer allein bleiben würde. Nachdem sie Raistons
Antrag so endgültig abgelehnt hatte, konnte sie auch nie einen
anderen nehmen. Wenn sie Ralston nicht haben konnte, wollte
sie auch keinen anderen.
Vielleicht hatte sie einen Fehler gemacht. Vielleicht hätte ihre
Liebe für sie beide gereicht. Aber könnte sie mit dem Wissen
leben, dass er sie eigentlich gar nicht gewollt hatte? Dass er
ihr den Heiratsantrag nur deswegen gemacht hatte, weil es das
Richtige gewesen war? Dass er, wenn er sich selbst überlassen
gewesen wäre, eine unendlich welterfahrenere Frau gefunden
hätte? Eine unendlich schönere? Eine unendlich ...?
Nein, das könnte ich nicht ertragen. Mir ist nichts anderes
übrig geblieben, als ihn abzuweisen.
Sie wischte sich eine Träne von der Wange und schniefte lei-
se. Eigentlich wurde es höchste Zeit, dass sie zum Ball zurück-
kehrte, aber sie konnte sich einfach nicht überwinden.
„Callie?"
Das Flüstern, kaum wahrnehmbar, kam von der Tür. Callie
fuhr herum und entdeckte Juliana, die durchs Dämmerlicht
spähte, um sicherzugehen, dass die Frau in der Dunkelheit tat-
sächlich ihre Freundin war.
Callie wischte sich eine weitere Träne von der Wange, richtete
sich im Sessel auf und sah zu der jungen Frau hinüber. „Juliana,
du solltest hier nicht allein sein."
Bei diesen Worten schloss Juliana die Tür hinter sich, ging
zu Callie und setzte sich auf eine Ottomane. „Ich habe es all-
mählich satt, dasS man mir dauernd sagt, was ich zu tun und
zu lassen habe. Du bist doch auch hier, oder? Also bin ich nicht allein."
Über diese Verteidigungsrede musste Callie unter Tränen lä-
cheln. „Das ist natürlich wahr."
„Und es sieht aus, als könntest du Gesellschaft brauchen,
amica. Genau wie ich."
Callie blinzelte, richtete den Blick auf Julianas Gesicht und
sah, dass ihre blauen Augen ... verletzt wirkten. Callie schob
ihren eigenen Kummer beiseite und fragte: „Was ist passiert?"
Juliana wedelte mit der Hand, eine Geste, mit der sie, wie
Callie wusste, Unbekümmertheit vorschützte. „Ich bin vom
Ball weggelaufen und habe mich verirrt."
Callie sah ihre Freundin an. „Juliana, du darfst dich von ih-
nen nicht aus der Fassung bringen lassen."
Juliana verzog die Lippen. „Ich bin nicht aus der Fassung. Im
Gegenteil, ich will ihnen zeigen, wozu ich fähig bin."
Callie lächelte das junge Mädchen an. „Ja! Genau so musst
du ihnen gegenübertreten, stolz und stark. Sei einfach du selbst.
Sie werden dir nicht widerstehen können, das garantiere ich
dir."
Über Julianas Gesicht flog ein Schatten - so flüchtig, dass
Callie ihn beinahe nicht gesehen hätte. „Es hat den Anschein,
als würden mir manche schon widerstehen können."
Callie schüttelte den Kopf und legte dem Mädchen tröstend
eine Hand aufs Knie. „Ich verspreche dir, dass sie das nicht lan-
ge werden durchhalten können."
„Darf ich dir etwas sagen?" Juliana neigte sich noch näher zu
ihr, bis sie beinahe mit der Stirn aneinanderstießen.
„Immer."
„Ich habe mich entschlossen, hierzubleiben. In England."
„Wirklich?" Callie riss die Augen auf, als ihr bewusst wurde,
was das bedeutete. „Das ist ja wunderbar!" Freudig klatschte
sie in die Hände. „Wann bist du denn zu der Entscheidung ge-
langt?"
„Gerade eben."
Callie lehnte sich zurück. „Der Ball hat dein Schicksal ent-
schieden?"
Die jüngere Frau nickte entschieden. „Allerdings. Ich kann
mich von diesen feinen Pinkeln ...", sie hielt inne, erfreut, dass
ihr dieser unfeine Ausdruck eingefallen war, „... doch nicht
einfach vergraulen lassen. Wenn ich nach Italien zurückgehen
würde, wer würde ihnen denn dann eine Lektion erteilen?"
Callie
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