Sarah Maclean
lachte. „Ausgezeichnet! Es wird mir eine Freude sein,
dir bei deinem Unterricht zuzusehen!" Sie drückte Julianas
Hände. „Und deine Brüder, Juliana ... sie werden sich so freu-
en!"
Juliana strahlte. „Ja ... das glaube ich auch." Doch als sie
Callie in die Augen sah, wurde ihre Miene ernst. „Ich bin mir
allerdings nicht sicher, ob Gabriel so gute Nachrichten verdient
hat."
Callie senkte den Kopf.
Nun ergriff Juliana Callies Hände. „Callie, was ist denn pas-
siert?"
„Nichts."
Dein Bruder hat mir nur das Herz gebrochen. Das ist alles.
Juliana wartete darauf, dass Callie wieder aufsah, und als sie
es tat, die Augen tränennass, sah sie sie forschend an. Nach ei-
nem langen Augenblick schien Juliana gefunden zu haben, wo-
nach sie gesucht hatte.
Sie drückte die Hand ihrer Freundin und sagte: „Du musst
ihm stolz und stark gegenübertreten; sei einfach du selbst."
Diese Bemerkung, ein Widerhall derer, die Callie vor weni-
gen Augenblicken ausgesprochen hatte, brachte die Tränen zum
Fließen. Lautlos liefen sie ihr über die Wangen.
Sofort hockte sich Juliana zu Callie auf die Sessellehne und
zog sie in eine feste Umarmung.
Und während Juliana sie so hielt, fasste Callie eine Angst in
Worte, die sie nicht länger verleugnen konnte: „Aber was ist,
wenn ich nicht genüge?"
Ralston verließ den Ball sofort. Die Kutsche ließ er
für seine Geschwister stehen und ging zu Fuß nach
Hause; Ralston House lag nicht weiter als eine Vier-
telmeile entfernt.
Sein Leben lang war er genau dieser Situation aus dem Weg
gegangen: Beziehungen zu Frauen, mit denen er zu viel gemein-
sam hatte, hatte er stets gescheut, hatte ehestiftende Mütter um
jeden Preis gemieden, vor lauter Angst, dass er die Frauen, die
sie ihm aufzudrängen versuchten, vielleicht mögen könnte. Er
war in einem Haushalt aufgewachsen, der von einer Frau zer-
stört worden war, zerfressen von der unerwiderten Liebe, die
am Herzen seines Vaters genagt hatte, der am Ende sogar daran
gestorben war - er hatte dem Fieber, dem er erlegen war, nichts
mehr entgegenzusetzen gehabt.
Und nun war er mit Callie konfrontiert, der frischen, unver-
brauchten, offenen, reizenden, klugen Callie, die das genaue
Gegenteil seiner Mutter schien und trotzdem ebenso gefährlich
war wie die ehemalige Marchioness. Denn als sie ihn mit ih-
ren atemberaubenden braunen Augen angesehen und ihm ihre
Liebe gestanden hatte, hatte Ralston alle Fähigkeit zum klaren
Denken verloren.
Und als sie ihn gebeten hatte zu gehen, hatte er genau ge-
wusst, was sein Vater empfunden hatte, als Raistons Mutter ihn
verlassen hatte - dieses Gefühl vollkommener Hilflosigkeit, als
müsste er wehrlos mit ansehen, wie ihm ein Teil seiner selbst
gestohlen wurde, ohne dass er etwas dagegen unternehmen
konnte.
Was für ein schreckliches Gefühl. Wenn das Liebe war, wollte
er nichts davon wissen.
Es regnete, ein feiner Londoner Sprühregen, der aus allen
Richtungen gleichzeitig kam und einen nassen Glanz über die
dunkle Stadt legte. Ein Schirm war da völlig nutzlos. Ralston
achtete jedoch gar nicht auf den Regen, er hatte immer noch
Callies Gesicht vor Augen, tränenüberströmt, verstört - und al-
les nur seinetwegen.
Wenn er ehrlich zu sich wäre, müsste er zugeben, dass er von
dem Moment an, da sie in seinem Schlafzimmer aufgetaucht
war - nichts als große, braune Augen und verführerische Lip-
pen -, dazu verdammt gewesen war, die Sache zu verpfuschen.
Hätte er besser aufgepasst, wäre ihm klar gewesen, dass sie sein
angenehmes Leben völlig durcheinanderbringen würde.
Heute Abend hatte sie ihm nun Gelegenheit gegeben, zu sei-
nem alten Leben zurückzukehren. Seine Zeit in Herrenclubs zu
verbringen, in Sportclubs und Wirtshäusern, und zu vergessen,
dass er sich je mit einem abenteuerlustigen Mauerblümchen
eingelassen hatte, das sich keiner gesellschaftlichen Grenzen
bewusst schien.
Eigentlich hätte er die Gelegenheit, das ärgerliche Weibs-
stück loszuwerden, begeistert ergreifen sollen.
Aber nun lauerten Erinnerungen an sie an all diesen Or-
ten. Und wenn er jetzt an sein Leben dachte, bevor sie in sein
Schlafzimmer eingedrungen war, fand er es gar nicht mehr so
angenehm. Plötzlich schien es ihm an Gelächter zu fehlen, an
Gesprächen und an unschicklichen Besuchen in Wirtshäusern
und Clubs und an abenteuerlustigen Damen. Es mangelte an
breitem Lächeln und üppigen Kurven und verrückten Listen.
Es
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