Sarah Maclean
beinahe vergessenen Dandy um,
der ganz allein das Beste in seinem Leben zerstört hatte, und
sagte: „Wie bitte?"
„Ich sagte, sie ist es nicht wert", wiederholte Oxford, der
blind war für Raistons verhärtete Miene und für seine ange-
spannte Haltung. „Sicher, das Beste an diesen späten Mädchen
ist, dass sie ganz versessen sind auf ein paar Matratzenspiele,
aber Sie können mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass Sie tat-
sächlich auf ein so hässliches, reizloses Exemplar zurückgrei-
fen müssen. Obwohl es ja den Anschein hatte, als wäre sie mehr
als bereit gewesen, für Sie die Röcke zu heben ... und das ist ja
wohl auch schon etwas."
Benedick erstarrte, und Ralston überlief heiß glühender Zorn
bei diesen abwertenden, gemeinen Worten, die sich gegen die
Frau richteten, die er heiraten wollte. Denn für ihn stand immer
noch außer Frage, dass Callie seine Frau werden würde.
Ob er nun betrunken war oder nicht, Oxford würde für seine
Bemerkungen büßen müssen.
Ralston packte Oxford bei den Rockaufschlägen und ramm-
te ihn gegen die Wand, die eine Seite des Balkons begrenzte.
Die Wucht des Aufpralls drückte Oxford die Luft aus den Lun-
gen. Nach Atem ringend, sank er auf dem Boden zusammen, die
Hand auf die Brust gepresst.
Ralston sah auf die ekelhafte Kreatur zu seinen Füßen und
sagte: „Sie haben die Ehre meiner zukünftigen Marchioness be-
sudelt. Wählen Sie Ihre Sekundanten. Wir treffen uns im Mor-
gengrauen."
Er wandte sich von dem stotternden Oxford ab und drehte
sich zu Benedick um. „Wenn ich mit ihm fertig bin, hole ich Ihre
Schwester. Und wenn Sie vorhaben, mich von ihr fernzuhalten,
besorgen Sie sich schon einmal eine Armee."
Callie saß in ihrem Schlafzimmer auf der Fensterbank,
wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und ließ die
Ereignisse dieses Abends noch einmal an sich vorüber-
ziehen.
Wie sollte sie nur ohne ihn weiterleben? Und wie sollte sie
gleichzeitig weiterleben in dem Bewusstsein, dass ihm die ge-
meinsame Zeit so wenig bedeutet hatte - sie hatte ihm nur dazu
gedient, eine Wette zu gewinnen und seine Schwester in die Ge-
sellschaft einzuführen.
Es konnte doch nicht möglich sein. Alles in ihr sträubte sich
gegen die Vorstellung, dass er sie so herzlos benutzt haben
sollte.
Aber er hatte es auch nicht abgestritten.
Und warum sollte sie es nicht glauben. Der Marquess of Rals-
ton, dieser unverbesserliche Wüstling, würde nicht zögern, sie
für seinen persönlichen Vorteil zu benutzen. Hatte er es nicht
getan? Von Anfang an? Er hatte ihr seine Küsse verkauft, wenn
sie dafür seine Schwester unterstützte. Wie war sie nur auf die
Idee verfallen, er könnte sich geändert haben?
Sie hatte so daran geglaubt, dass es möglich wäre - dass die
jahrzehntelange Verachtung von Gefühlen nichts als eine un-
bedeutende Facette seiner durchwachsenen Vergangenheit war.
Dass ihre Liebe groß genug war, um ihm zu beweisen, dass die
Welt es wert war, zu lieben und Vertrauen zu fassen. Dass sie ihn
in den Mann verwandeln könnte, von dem sie schon so lange
träumte.
Das war vielleicht die schlimmste Einsicht - dass Ralston, der
Mann, nach dem sie sich über ein Jahrzehnt lang gesehnt hatte,
gar nicht existierte. Er war nie der starke, schweigsame Odys-
seus gewesen, nie der stolze Darcy, nie Antonius, mächtig und
leidenschaftlich. Er war immer nur Ralston gewesen, arrogant,
fehlerbehaftet und ganz und gar aus Fleisch und Blut.
Und er hatte auch nie vorgegeben, etwas anderes zu sein. Er
hatte ihr nie etwas vorgemacht, ihr nie Liebe vorgeheuchelt, ihr
nie vorgegaukelt, er sei mehr als das, was er war. Er hatte sogar
ausdrücklich gesagt, dass er sie nur Julianas wegen gebraucht
hatte.
Julianas wegen und anscheinend auch wegen zweitausend
Pfund. Nicht dass er das Geld gebraucht hätte.
Das machte es fast noch schlimmer.
Sie neigte den Kopf, als eine Welle des Kummers sie erfasste
und ihr erneut die Tränen kamen.
Oh, Callie. Wie konntest du nur so dumm sein?
Selbst als sie den wahren Ralston kennengelernt hatte - den
Ralston, der nicht aus dem Stoff geschneidert war, aus dem die
Helden gemacht waren -, hatte Callie die Wahrheit nicht gese-
hen. Und statt zu erkennen, dass ihr nichts als Herzeleid bevor-
stand, hatte sie sich verliebt, nicht in ihr Fantasiebild, sondern
in den echten, fehlerhaften Ralston.
Die ganze Zeit hatte sie sich auf die Vorstellung konzentriert,
dass er sich ändern würde,
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