Sarah Maclean
habe. Er kam zu
mir, bevor er zu dir in die Bibliothek ging. Ralston macht sich
etwas aus dir. Das weiß ich, sonst hätte ich ihm nie meinen Se-
gen gegeben."
„Du irrst dich", flüsterte Callie. „Ich dachte, ich hätte genug
Liebe für uns beide. Aber da habe ich mich getäuscht."
Schweigen senkte sich auf sie herab, und Benedick sah
stumm zu, wie seiner Schwester die Tränen über die Wangen
liefen. Schließlich sagte er: „Callie ... Ralston hat Oxford ges-
tern Abend gefordert."
Callie fuhr auf. Sie war sich sicher, ihren Bruder falsch ver-
standen zu haben. „Wie ... wie bitte?"
„Er hat Oxford zum Duell gefordert."
Callie schüttelte den Kopf, versuchte sich von dem Nebel zu
befreien, der sie soeben eingehüllt hatte. „Nein. Das kann nicht
stimmen. Bist du sicher, dass er es war und nicht St. John? Die
beiden sind Zwillinge, weißt du? Die kann man schon mal mit-
einander verwechseln."
„Ja, Callie. Dessen bin ich mir bewusst. Ich bin mir auch
vollkommen sicher, dass Ralston und Oxford die Kontrahen-
ten sind, schließlich war ich dabei, als er ihn gefordert hat. Und
wenn man überlegt, dass es dabei um dich geht..."
„Um mich?", quietschte Callie. „Ralston würde sich nie mei-
netwegen duellieren. Ich bin es doch nicht wert, dass er sein
Leben aufs Spiel setzt. Ich meine, es ist ja nicht so, als würde er
mich lieben, Benedick", spottete sie. Benedick schwieg und sah
sie nur besorgt an. „O Gott."
„Vielleicht liebt er dich nicht, Callie. Aber ich möchte wetten,
dass er ziemlich gewaltige Gefühle für dich hegt, sonst würden
er und Oxford nicht in diesem Augenblick ihre Sekundanten
wählen."
Er riskiert alles für mich.
Wenn das keine Veränderung war, was dann?
Callie riss die Augen auf. „O Gott." Sie beugte sich vor, streck-
te die Hand über den Schreibtisch, um ihn am Arm zu packen.
„Benedick, du musst mich dort hinbringen."
„Callie ..." Benedick schüttelte den Kopf. „Ich kann dich
nicht dort hinbringen, das weißt du."
Sie sprang auf und verkündete: „Benedick! Er könnte ster-
ben!" Und damit stürmte sie aus dem Zimmer und die breite
Treppe empor zu ihrem Schlafzimmer, Benedick dicht auf den
Fersen. Sie riss die Tür auf, rannte zum Schrank und holte ein
Kleid heraus. „Er könnte sterben!"
Benedick schloss die Tür hinter sich und versuchte, Callie mit
leiser Stimme zu beruhigen. „Er wird nicht umgebracht, Callie.
Das passiert heutzutage bei Duellen fast nie mehr."
Sie wandte sich ihm zu, die Arme voll Musselin. „Irre ich
mich, Benedick, oder läuft es so: Zwanzig Schritte auseinander,
umdrehen, feuern ? Eine Pistole ? Eine geladene Pistole?"
„Nun ja", räumte Benedick ein und fügte hinzu: „Aber heut-
zutage rechnet man nicht mehr damit, dass jemand stirbt. Ich
meine, man muss doch ins Gefängnis, wenn man jemanden im
Duell tötet, meine Güte."
„Ah, dann ist das eine Art Gentlemens' Agreement?"
„Genau."
„Es findet mehr zum Schein statt?"
„Richtig", erwiderte er, erfreut, dass sie es verstand.
Ihre Augen wurden schmal. „Und wenn einer der fraglichen
Gentlemen nicht schießen kann?"
Benedick öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
Callie schüttelte den Kopf und trat hinter ihren Wandschirm.
„Du bringst mich hin."
Gleich darauf hing ihr Nachthemd über dem Wandschirm.
Benedick warf verzweifelt die Hände in die Höhe und kehrte
dem Hauptort des Geschehens vorsichtshalber den Rücken zu.
„Ich bringe dich nicht hin. Du wartest hier, wie es sich für
eine Frau gehört."
„Vergiss es! Ich bin nicht länger zahm und fügsam."
„Wie kommst du auf die Idee, du wärst es je gewesen?"
Benedick drehte sich um und sah, dass Callie fertig angezo-
gen war und ein Paar Stiefel überstreifte. Ihre Augen blitzten.
„Du hast zwei Möglichkeiten, Benedick. Entweder du beglei-
test mich wie ein braver Bruder, oder du trittst beiseite, wenn
ich das Haus verlasse und mitten in der Nacht allein durch
London kutschiere."
„Du findest das nie."
„Unsinn. Du vergisst, dass ich ein, zwei Wirtshäuser in der
Stadt kenne. Bestimmt hat sich das Duell dort schon herumge-
sprochen. Solche Neuigkeiten verbreiten sich doch immer wie
ein Lauffeuer."
Er riss die Augen auf. „Soll ich dich einsperren?"
„Dann klettere ich draußen am Spalier herunter!", verkün-
dete sie.
„Verdammt, Callie!"
„Benedick, ich liebe ihn. Ich liebe ihn seit zehn Jahren. Und
ich hatte ihn einen Tag, bevor ich
Weitere Kostenlose Bücher