Sarah Maclean
du uns ebenfalls zu diesen Veranstaltungen begleitest."
„Eigentlich bin ich nach Yorkshire eingeladen. Leighton
glaubt, meine Fähigkeiten seien unabdingbar bei der Auffin-
dung einer Statue, die er verlegt hat. Ich spiele mit der Idee,
seiner Aufforderung nachzukommen."
„Nein. Du wirst nicht davonlaufen, um dich mit deinen Mar-
morstatuen zu amüsieren, und es mir überlassen, die Meute in
Schach zu halten."
Nick hob eine Augenbraue. „Ich bemühe mich, über deine
Einschätzung meiner Arbeit hinwegzusehen ... wann kannst
du mich denn wieder freigeben?"
Gabriel trank von seinem Whisky. „Was glaubst du, wie
schnell bekommen wir sie unter die Haube?"
„Das hängt davon ab, wie schnell wir sie davon abbringen
können, niemals heiraten zu wollen. Sie hat furchtbare Angst
vor dem Einfluss unserer Mutter, Gabriel. Kannst du ihr das
verübeln? Die Frau hat doch jeden von uns gezeichnet. Und dies
ist das Kreuz, das Juliana zu tragen hat."
„Sie ist überhaupt nicht wie unsere Mutter. Das beweist
schon ihre Angst."
„Trotzdem. Nicht wir müssen davon überzeugt sein, sondern
sie. Und der Rest von London." Die Brüder schwiegen eine
Weile, ehe Nick hinzufügte: „Glaubst du, Juliana gehört zu den
Frauen, die auf eine Liebesheirat warten?"
Ralston knurrte irritiert. „Ich hoffe, sie hat mehr Verstand, als
sich so etwas zu erhoffen."
„Frauen neigen zu der Ansicht, dass sie ein Anrecht auf die
Liebe haben. Vor allem jüngere Frauen."
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Juliana auf derartige
Märchen hereinfällt. Du vergisst, wir wurden von derselben
Frau aufzogen ... unmöglich, dass Juliana sich da nach Liebe
sehnt. Nicht nachdem sie gesehen hat, wie viel Schaden die Lie-
be anrichten kann."
Wieder schwiegen die Zwillinge, dann sagte Nick: „Ich hoffe
für uns alle, dass du recht hast." Als Ralston nicht antworte-
te, fügte Nick hinzu: „Lady Calpurnia ist eine hervorragende
Wahl."
Ralston ließ ein unverbindliches Knurren hören.
„Wie hast du sie denn dazu gebracht, sich unserer Schwester
anzunehmen?"
„Ist das so wichtig?"
Eine von Nicks Brauen schoss in die Höhe. „Plötzlich habe ich
den Eindruck, dass es ganz ungeheuer wichtig ist." Als Ralston
nicht antwortete, erhob Nick sich und rückte sein Krawatten-
tuch zurecht. „Marbury richtet im Nebenraum ein Kartenspiel
aus. Kommst du mit?"
Ralston schüttelte den Kopf und nahm einen großen Schluck
Whisky.
Sein Bruder nickte und wandte sich zum Gehen. Ralston sah
ihm unter halb geschlossenen Lidern nach und verdammte die
unheimliche Fähigkeit seines Bruders, sofort zum Kern jeder
delikaten Situation zu kommen.
Lady Calpurnia.
Er hatte sie als Glücksfall betrachtet - eine Frau von unver-
gleichlichem Ruf, die einfach erschienen war. Sie war genau die
Richtige, um Juliana auf ihre erste Saison vorzubereiten - hatte
er zumindest geglaubt. Aber dann hatte er sie geküsst.
Und der Kuss war ziemlich außergewöhnlich gewesen.
Gleich darauf spottete er über diesen Gedanken. Die An-
kunft seiner Schwester hatte ihn überrascht und aufgewühlt.
Da wäre jeder Kuss als Ablenkung recht gewesen.
Vor allem, wenn er so freigebig von einer eifrigen, reizenden
Gefährtin kam.
Ralston dachte daran, wie Calpurnia sich in seinen Armen
angefühlt hatte, dachte an ihre leisen Seufzer und daran, wie
sie sich seinem Kuss hingegeben hatte. Er fragte sich, ob sich
ihr Enthusiasmus beim Küssen auch auf andere, intimere Din-
ge übertragen ließ. Einen Augenblick erlaubte er sich die Vor-
stellung, wie sie in seinem Bett lag, nichts als große braune Au-
gen und zärtliche, volle Lippen, und nichts trug außer einem
willigen Lächeln.
Aus einer Ecke des Salons brandete Gelächter und riss ihn
aus seinen Träumereien. Er rutschte in seinem Sessel herum,
um die unangenehme Enge in seinen Kniehosen zu lindern, und
schüttelte den Kopf, um die Vorstellung zu vertreiben, die er he-
raufbeschworen hatte. Offenbar musste er dringend eine willi-
ge Frau finden. Umgehend.
Während er sich die merkwürdigen Ereignisse der letzten
Nacht durch den Kopf gehen ließ, nahm er noch einen Schluck
und ließ den Whisky dann im Glas kreisen. Er konnte nicht
leugnen, dass ihn Lady Calpurnia Hartwell, das unscheinba-
re kleine Mauerblümchen mit dem ungewöhnlichen Vornamen,
dem er nie groß Beachtung geschenkt hatte, ziemlich faszinier-
te. Normalerweise interessierte er sich nicht für Frauen wie
Weitere Kostenlose Bücher