Sarah Maclean
wurden.
Kurz vor dem Ziel wurde sie von Lord Oxford aufgehalten.
„Lady Calpurnia!"
Callie setzte ein süßliches Lächeln auf und wandte sich dem
Lord zu, der ihr seinerseits das zahnreichste Grinsen zeigte,
das sie je gesehen hatte. Unwillkürlich wich sie einen Schritt
vor dem strahlenden Mann zurück. „Lord Oxford. Was für eine
Überraschung."
„Ja, das kann ich mir denken." Sein Lächeln wankte nicht.
Sie wartete darauf, dass er weitersprach. Als er schwieg, sag-
te sie: „Es freut mich, dass Sie heute Abend zu uns kommen
konnten."
„Mich freut vor allem, dass ich zu Ihnen kommen konnte,
Lady Calpurnia."
Die Betonung verwirrte Callie einigermaßen. War Lord Ox-
fords anzüglicher Ton möglicherweise Absicht? Sicher nicht,
schließlich konnte Callie sich nicht einmal erinnern, wann sie
das letzte Mal mit dem unverbesserlichen Dandy gesprochen
hatte. Sie räusperte sich verhalten. „Oh. Vielen Dank."
„Reizend sehen Sie heute Abend aus." Oxford beugte sich
vor, und sein Lächeln wurde womöglich noch breiter. Konnte es
sein, dass er mehr Zähne hatte als ein Normalsterblicher?
„Oh." Mit einiger Verspätung dachte Callie daran, züchtig
den Kopf zu senken und geschmeichelt statt verdutzt zu wir-
ken. „Danke, Mylord."
Oxford wirkte äußerst selbstzufrieden. „Vielleicht würden
Sie mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen?" Als sie nicht
gleich antwortete, hob er ihre Hand an die Lippen und fügte
mit gesenkter Stimme hinzu: „Das will ich Sie schon den gan-
zen Abend fragen."
Ungläubig hob Callie den Kopf. War der Mann vielleicht be-
trunken?
Während sie noch über die Aufforderung nachdachte, hörte
Callie, wie das Orchester einen Walzer anstimmte, was sie so-
fort gegen den Vorschlag einnahm, mit Oxford zu tanzen. Der
Walzer hatte sich in England erst durchgesetzt, nachdem Callie
zur alten Jungfer geworden war, und so hatte sie nie eine Mög-
lichkeit bekommen, ihn mit jemand anderem als ihrem Bru-
der Benedick zu tanzen, der ihr den Tanz zu Hause beigebracht
hatte. Ihren ersten Walzer in der Öffentlichkeit wollte sie ganz
gewiss nicht mit Oxford tanzen, der grinste, als wäre er nicht
gescheit. Rasch warf sie einen Blick zum Erfrischungsraum und
überlegte, wie sie am besten entkommen konnte.
„Ach. Na ja. Ich ...", wich sie aus.
„Calpurnia! Da sind Sie ja!" Miss Heloise Parthwaite, jen-
seits der fünfzig und ziemlich kurzsichtig, kam aus dem Nichts
herbei und packte Callie am Arm. „Ich habe überall nach Ihnen
gesucht. Seien Sie doch so lieb und kommen Sie mit, damit ich
meinen Saum reparieren kann, ja?"
Calpurnia atmete erleichtert auf; sie war gerettet. „Aber na-
türlich, Heloise, meine Liebe", erklärte sie. Sie entzog Oxford
ihre Hand und schenkte ihm ein bedauerndes Lächeln. „Viel-
leicht ein anderes Mal, Mylord?"
„In der Tat! Und beim nächsten Mal kommen Sie mir nicht
davon!" Oxford lachte dröhnend auf, und sie rang sich ein
künstliches kleines Kichern ab, ehe sie sich abwandte, um
Heloise zum Ruheraum der Damen zu begleiten.
Callie hängte sich bei Heloise ein, und die ältere Dame be-
gann von den gewagten Miedern zu plaudern, die dieses Jahr
offenbar sehr in Mode waren. Während sie an den hoffentlich
passenden Stellen nickte und etwas murmelte, was ihr Interesse
bekunden sollte, ließ Callie die Gedanken schweifen - von der
merkwürdigen Begegnung mit Oxford bis hin zu ihrer Liste.
Und entschied, dass sie, wenn sie einen weiteren Abend mit
bizarren Gesprächen und einem Sitzplatz in der Jungfernecke
erdulden musste, sich ein weiteres Abenteuer wahrhaftig ver-
dient hatte. Sie war fast versucht, Heloise sicher im Damen-
salon abzuliefern und dann die Gunst der Stunde zu nutzen
und sich heimlich davonzumachen, um sich sofort ihrer Liste
zu widmen.
Vorausgesetzt natürlich, sie kamen jemals im Damensalon
an. Die ältere Frau war abrupt stehen geblieben und linste
nun kurzsichtig in die Menge. „Ist das da drüben Ralston? Wie
merkwürdig!"
Callies Herz setzte einen Schlag aus, und sie blickte in die
Richtung, in die Heloise deutete, konnte aber, da sie zu klein
war, um über die Köpfe hinwegzusehen, vor lauter Menschen
nichts erkennen. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass Heloise so
gut wie nichts sah. Callie schüttelte den Kopf und machte sich
wieder daran, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Rals-
ton konnte es nicht gewesen sein.
Heloise stimmte dem offenbar zu. „Nein, Ralston
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