Sarah Maclean
auf. „Du kannst damit doch
nicht sagen wollen ... ich wollte doch gar nicht..."
„Du wolltest den besten Tanzmeister in ganz London nicht
aus dem Haus scheuchen?"
Juliana schnaubte verächtlich. „So gut ist er nun auch wieder
nicht."
„Doch, das versichere ich dir."
„Das ist aber traurig für London."
Nicks Mundwinkel zuckten, während Ralston die Lippen zu
einer dünnen Linie zusammenpresste. „Du musst lernen, deine
Ansichten für dich zu behalten, Schwesterherz, sonst wirst du
nie gesellschaftsfähig sein."
Julianas Blick verdüsterte sich, wie um anzudeuten, dass ihr
Wille ebenso viel zählte wie der ihres Bruders. „Dürfte ich dann
vorschlagen, dass du mich nach Italien zurückreisen lässt, Bru-
der? Glaube mir, dort würde ich dir sehr viel weniger Schwie-
rigkeiten machen."
„Das bezweifle ich zwar nicht, aber wir haben uns auf zwei
Monate geeinigt. Du schuldest mir noch fünf Wochen."
„Vier Wochen und fünf Tage", korrigierte sie scharfzüngig.
„Wenn es nur schon weniger wären. Geh auf dein Zimmer
und komm erst wieder, wenn du dich wie die Dame zu beneh-
men gedenkst, die du angeblich sein sollst."
Juliana musterte ihren älteren Bruder mit zornblitzenden
Augen, machte auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem
Ballsaal.
Callie sah ihr nach und warf Ralston dann einen vorwurfs-
vollen Blick zu. Kühl erwiderte er den Blick, als wollte er sie
herausfordern, sein Verhalten zu kritisieren. Mit kaum merk-
lichem Kopfschütteln, das ihre Enttäuschung anzeigen sollte,
folgte Callie ihrer Schutzbefohlenen.
Ralston sah ihr nach, bevor er sich an Nick wandte. „Jetzt
brauche ich etwas zu trinken."
Callie fand Juliana in ihrem Schlafzimmer, wo sie Kleider aus
ihrem Schrank riss. Als sie den wachsenden Berg aus Seide und
Satin sah, der zu Füßen der jungen Frau lag, und die verstör-
te Zofe, die unsicher in einer Ecke des Zimmers stand, strich
Callie ihr Kleid glatt, setzte sich auf die Bettkante und wartete
darauf, dass Juliana sie bemerkte.
Nach einer langen Weile, in der nur Julianas schwere Atem-
züge und hin und wieder ein gemurmelter Satz Italienisch zu
hören waren, wirbelte sie schließlich zu Callie herum, die Hän-
de in die Hüften gestemmt. Julianas Blick war wild vor Enttäu-
schung, ihr Gesicht vor Aufregung und Zorn rot angelaufen. Sie
atmete tief durch und verkündete dann: „Ich reise ab."
Callie hob überrascht die Augenbrauen. „Wie bitte?"
„Ich reise ab. Ich kann hier nicht länger bleiben. Keine Mi-
nute länger!" Sie wandte sich ab und wuchtete einen großen
Schrankkoffer aufs Bett, unter einer leisen Tirade, von der Cal-
lie die italienischen Worte für Bruder, Bulle und Artischocke zu
erkennen meinte.
„Juliana ...".begann Callie vorsichtig, „findest du nicht, dass
du hier mit Kanonen auf Spatzen schießt?"
Ungläubig wandte sich Juliana zu ihr um. „Kanonen? Spat-
zen? Warum sollte ich auf Spatzen schießen?"
Callie unterdrückte ein Lächeln und erklärte: „Ich meine, ist
deine Reaktion nicht ein wenig übertrieben? Das mit der Kano-
ne und den Spatzen ist nur eine Redewendung."
Juliana legte den Kopf schief und ließ sich das durch den Kopf
gehen. Schließlich schüttelte sie den Kopf. „Nein, gar nicht!
Eigentlich hätte ich sogar gedacht, er würde früher erkennen,
dass er mich hasst." Sie begann die Kleider in den Koffer zu
stopfen. Ihre Zofe warf Callie einen Blick zu, entsetzt über die
raue Behandlung, die ihre Herrin den Roben angedeihen ließ.
Callie hätte gelacht, wenn die Situation nicht so aufgeladen
gewesen wäre. „Er hasst dich doch nicht."
Juliana hob den Kopf; offenbar glaubte sie ihr nicht. „Nein?
Hast du gesehen , wie er mich angeschaut hat? Hast du gehört,
wie er gesagt hat, er wünschte, ich wäre schon weg?"
Callie konnte sich nicht helfen, sie musste über die maßlose
Empörung der jungen Frau ein wenig lächeln - eine Empörung,
die sich nur noch steigerte, als Juliana die Belustigung ihrer
Freundin bemerkte. „Findest du das etwa amüsant?", fragte sie
anklagend.
„Aber nein ... na ja, ein bisschen", räumte Callie ein, weil sie
sah, wie Juliana puterrot anlief. „Weißt du, du bist es einfach
nicht gewohnt, einen großen Bruder zu haben."
„Nein - und anscheinend habe ich jetzt einen, der sich aus
seiner Rolle herzlich wenig macht!"
„Unsinn. Er betet dich an. Das tun sie alle beide."
„Ha! Da irrst du dich aber gewaltig! Ich bin für sie
Weitere Kostenlose Bücher