Sarah Pauli 03 - Tod hinter dem Stephansdom
erklären. «
Mario Kaisers Herz setzte für den Bruchteil einer Sekunde aus, als er Seite fünf des Wiener Boten aufschlug. Sie hatten einen Artikel über die Plakataktion in der Innenstadt gebracht. Sein eigenes Gesicht blickte ihm entgegen.
» Du siehst müde aus, und voll blass « , bemerkte Jenny, während sie die Tassen und den Kaffee auf dem Tisch abstellte.
Noch nie zuvor hatte Mario Kaiser sich so fehl am Platz gefühlt wie in diesem Moment in der Wohnung seiner Angestellten. Jenny setzte sich zu ihm an den Tisch, schenkte Kaffee ein, goss etwas Milch dazu, nahm einen kleinen Schluck und behielt die Tasse in der Hand.
» Warum bist du gekommen, Mario? «
Er trank auch einen Schluck Kaffee und fühlte sich mit einem Schlag hundemüde.
» Hast du schon einmal daran gedacht, das Privat zu übernehmen? « , fragte er.
Sekundenlang starrte Jenny ihn ungläubig an, dann lachte sie laut auf. Sie warf dabei ihren Kopf in den Nacken, was ihren langen schlanken Hals erst recht zur Geltung brachte. Er fragte sich, ob er mit ihr schlafen wollen würde, wenn sie nicht seine Barkeeperin wäre, und gestand sich ein, dass er es auch so gern tun würde.
» Wieso? Willst du in Pension gehen? So alt bist doch noch nicht. «
So alt. Diese beiden Wörter katapultierten ihn zurück auf den Boden der Tatsachen.
» Du bist sicher nur ein bisschen übermüdet. «
Mario Kaiser zögerte. Er überlegte, wie und wo er anfangen sollte zu erzählen.
» Fahr heim, leg dich hin. Ich mach das heute im Lokal. Es geht mir eh schon besser. «
Er sah seine Barkeeperin an und spürte, wie ihm die Angst zusetzte, wie sein Hals trockener wurde.
» Jemand bedroht mich « , brachte er schließlich heiser heraus.
» Was meinst du mit bedrohen? « Dann schien ihr etwas einzufallen. » Der Anruf am Freitag. Da hat sich niemand verwählt, gell? « Wieder lachte sie. » Hast womöglich was mit einer verheirateten Frau angefangen? Und jetzt will der Ehemann dich verdreschen. « Sie schüttelte amüsiert den Kopf. » Mario, Mario. «
Er blieb ernst, schüttelte ebenfalls den Kopf und zeigte dann auf den Artikel.
Jenny nahm die Zeitschrift und las den Artikel.
» Was soll das? «
» Oskar hat Scheiße gebaut, und wir zahlen dafür. «
» Wie, Scheiße gebaut und ihr zahlt dafür? «
» Ich glaub, irgendwer ist gerade dabei, uns alle umzubringen « , sagte Mario Kaiser, während er an seinem Handy herumfummelte.
» Wer will wen umbringen? Ich versteh kein Wort. «
Schweigend zeigte er Jenny das Bild von Gerhard Levic.
» Ist der …? «
» Er ist tot, Jenny. Tot. Genauso tot wie Oskar. «
Es dauerte eine Weile, bis die Nachricht zu ihr durchgedrungen war.
» Wie? «
» Weiß ich nicht. « Seine Stimme klang noch heiserer. » Ich glaub, dass ich der Nächste bin. «
» Aber um Gottes willen, Mario, warum denn? «
Wieder schüttelte er den Kopf. Er konnte ihr unmöglich die Wahrheit sagen.
Langsam drehte er die Handflächen nach oben.
» Ich schwitze, Jenny. Schau, wie ich schwitze. «
» Was ist passiert, Mario? Ich dachte, Oskar ist an einer Überdosis gestorben. Oder etwa nicht? Und was ist mit Gerhard passiert? Mario! Rede mit mir! « Sie hörte sich fast verzweifelt an.
» Ich glaube, ich soll heute sterben. «
Jenny kniff die Augen zusammen. Sie verstand noch immer kein Wort von dem, was er da vor sich hin faselte.
Er fühlte sich auf einmal schmutzig und fuhr mit den Händen über seine Jeans.
» Kann ich vielleicht bei dir duschen? «
» Natürlich. Aber sag mir erst, warum du glaubst, dass du heute sterben musst. «
» Ich weiß es einfach. «
Übelkeit kroch seine Speiseröhre hinauf. Er versuchte zum wiederholten Mal, gleichmäßig zu atmen und sich zu beherrschen, zog ein Stück Papier aus seiner Hosentasche und faltete es auseinander.
» Diese Notiz hat mir jemand mit dem Lift direkt ins Wohnzimmer geschickt. Du kennst ja meine Wohnung … man muss den Code kennen. «
Schweigend sah sie zu, wie er den zerknitterten Zettel glatt strich.
» Das Datum « , sagte er. » Heute ist doch der 26. Oktober. «
Sie las die Mitteilung.
» Wenn du wirklich glaubst, dass das dein Sterbedatum ist, warum gehst du nicht zur Polizei? Ich mein’, das klingt zwar irgendwie voll schräg, aber die hören wahrscheinlich dauernd so schräge Geschichten. «
» Polizei « , wiederholte er. » Ich kann nicht zur Polizei gehen. Dafür … Dafür gibt es mehrere Gründe. «
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PHILIPP BRAND
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