Sarahs Moerder
Mal, dass ich ihn trinken sah. Er kippte das Glas. Mir war es peinlich, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Was denkst du?«, fragte er.
»Nichts, Commissario, gar nichts.«
Er lächelte belustigt.
»Tee.«
»Was?«
»Das ist Tee, kein Whisky.«
Ich hatte keine Ahnung, ob das stimmte oder eine Ausrede war, um die Sache zu vertuschen.
»Wenn Sie’s sagen.«
»Es ist natürlich komisch, Tee in eine Whiskyflasche zu füllen, das denkst du doch, oder?«
»Ja, das heißt nein, das geht mich nichts an, Commissario.«
»Vielleicht erzähle ich dir irgendwann mal davon. Aber jetzt zurück zu diesem Genny Esposito, du musst mir einen Gefallen tun.«
»Klar.«
Er nahm ein Foto aus einer Akte.
»Das ist ein Foto von ihm. Geh gleich mal in die Via del Parco Mastriani, und frag diesen Lehrer, ob es derselbe Junge ist, mit dem er Sarah vor zwei Tagen morgens gesehen hat. Ich hab ihn schon angerufen, er erwartet dich.«
»Okay.«
»Aber schnell, wenn du wiederkommst, erkläre ich dir den Rest.«
Eine halbe Stunde später war ich zurück.
»Und?«, fragte der Commissario.
»Er weiß es nicht genau.«
»Wie?«
»Erst hat er gesagt, dass er es sein könnte. Als er dann die Aussage unterschreiben sollte, fing er an, ganz sicher wäre er nicht, die Haare wären länger, die Augen irgendwie anders, dass er die Verantwortung nicht übernehmen könnte.«
»Natürlich nicht. War ja klar.«
»Erklären Sie mir, worum es eigentlich geht, Commissario?«
»Also, Sarah und Sandro haben sich doch gestritten, nicht wahr?«
»Ja, das haben sowohl der Vater am Telefon aus Roccaraso als auch Sandro gesagt, als ich ihn auf Capri verhört habe.«
»Aber keiner hat gesagt, worüber sie gestritten haben.«
»Verstanden. Sie denken, dass sich Sarah wieder mit ihrem Ex getroffen hat, Sandro das rausgekriegt hat und ihr die Hölle heiß gemacht hat.«
»Sehr gut.«
»Aber Sandro hat ein Alibi. Wenn sie sich wirklich mit ihrem Ex getroffen hat und Sandro eifersüchtig geworden ist, was bringt uns das?«
»Hör zu. Heute Morgen ist Sandro Cangiullo hier gewesen, um die Aussage zu unterschreiben. Es ging ihm besser, und er hat sich für gestern entschuldigt. Ich habe die Gelegenheit genutzt und ihn nach diesem Genny Esposito gefragt, aber er hat gesagt, er hätte noch nie von ihm gehört. Das fand ich komisch, und deshalb habe ich Sarahs Vater angerufen, um rauszufinden, ob der ihn kennt.«
»Und was hat der gesagt?«
»Er hat sofort losgeschrien, als ich den Namen Genny Esposito genannt habe, fürchterlich geflucht. Dann hat er sich beruhigt und mir erklärt, dass das ein Prolet wäre und dass seine Tochter mehr als einmal mit ramponiertem Gesicht heimgekommen wäre, als sie mit dem zusammen war.«
»Echt?«
»Nicht nur das. Anscheinend ist Esposito, als sie endlich Schluss gemacht hat, ihr nachgelaufen, um sie wieder rumzukriegen. Und weil sie nicht wollte, ist er richtig auf sie losgegangen.«
»Und davon will Sandro nichts gewusst haben?«
»Vielleicht hat sich Sarah geschämt und ihm nichts davon erzählt.«
»Aus welchem Viertel kommt dieser Esposito eigentlich?«
»Aus der Sanità.«
Komisch, dass Sarah was mit einem aus der Sanità hatte. Man blieb doch unter sich, und Posillipo und die Sanità hatten echt gar nichts miteinander zu tun.
»Und mit so einem war Sarah zusammen?«
»Ja, war sie. Und der Typ ist außerdem kriminell.«
»Wieso, ist der vorbestraft?«
»Cipriani hat im Archiv nachgeschaut: verschiedene Anzeigen wegen Überfall, eine wegen Schlägerei und eine Verhaftung wegen Handgreiflichkeiten gegen einen Polizisten. Vor drei Monaten die letzte Festnahme, weil er nach einem Meisterschaftsspiel zwei Fans von Verona krankenhausreif geprügelt hat. Und um die Sache rund zu machen, nennen sie ihn im Viertel den Pianisten, weil er jede Kleinigkeit mit den Händen löst.«
Ich dachte drüber nach, aber das wollte mir irgendwie nicht in den Kopf.
»Commissario, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass eine wie Sarah was mit so einem Tier hatte.«
»Dir kommt das komisch vor, ist mir klar, aber die waren fast ein Jahr zusammen.«
Ein Jahr? Unmöglich.
»Sag Lo Masto und Cipriani, dass sie kurz in die Sanità sollen, ihn finden und rauskriegen, ob er für gestern Nachmittag ein Alibi hat.«
Ich war schon aus dem Zimmer, um den Befehl weiterzugeben, dachte aber plötzlich, dass ich den Ex von Sarah lieber selber suchen wollte. Also ging ich zurück und fragte den Commissario, ob ich für
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