Sarg niemals nie
ein Wachtmeister bekleidet.«
»Er trägt einen braunen Übermantel«, erklärte John. »Und es ist kalt. Welche Farbe haben die Mäntel, die Wachtmeister tragen, wenn es kalt ist?«
»Ich glaube, sie dürfen die Farbe frei wählen. Aber sehe ich so aus, als müsste ich das wissen?«
»Du warst im Gefängnis.«
»Ich habe auch schon im Grab gelegen und weiß trotzdem nicht, welche Farbe die Mäntel in …«
»Da bist du ja, Erhabener!«
Ich schrie auf und fuhr herum. Fünf kniende Gestalten versperrten uns den Weg zum Vordereingang der Bank.
»Wir haben lange nach dir gesucht, Erhabener, doch du Weiser verbirgst dich vor uns. Warum?«
»Seid ihr die Vampire?« John grinste breit. »Wie schön, euch kennenzulernen! Ehrlich.« Er lief auf sie zu, schüttelteihnen kraftvoll die Hände und stellte sich vor. »Ich bin John, und ich freue mich wirklich, dass wir uns endlich einmal begegnen.«
»Hast du auch ihn deinem Willen unterworfen, Erhabener?« Ich erkannte die heisere Stimme des Anführers Schwarz.
»Nun kommt schon, steht auf!«, drängte John sie. »Es bringt doch nichts, in diesem Unrat niederzuknien.«
»Vielleicht ist er der Sprecher des Erhabenen«, meinte ein anderer Vampir.
»Er spricht für den Erhabenen«, bekräftigte Schwarz. »Wir müssen tun, was er sagt.« Die fünf Vampire standen langsam auf und erweckten den Eindruck, als wüssten sie nun nicht recht weiter. Nach einer Pause trat Schwarz vor und verneigte sich vor John.
»Sag dem Erhabenen, dass wir demütig um eine Erklärung bitten.«
»Ihr bittet um eine Erklärung?«, rief ich. »Ich bin derjenige, der eine Erklärung verlangt. Was hat es mit diesem Erhabenen , mit euch Vampiren und allem anderen auf sich? Warum folgt ihr mir?«
»Du bist der Erhabene, Erhabener. Der mächtigste Vampir aller Zeiten. Dein Kommen wurde uns prophezeit, und nun wirst du uns zum Ruhm führen.«
»Sprecht leise!« Ich trat näher zu ihnen. »Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, aber ihr habt euch den Falschen ausgesucht. Leider ist es nun einmal so, dass ich kein Vampir bin, und ich bin gewiss nicht der Erhabene.«
»Aber wir sahen dich dem Grab entsteigen.«
»Das war eine Täuschung. Ich habe nur so getan, als wäre ich tot.«
»Ah«, machte der Anführer der Vampire. »Ich verstehe. Das war sehr schlau von dir, Erhabener.«
»Nein, begreift es doch endlich: Ich bin kein Vampir. Ich bin Bankangestellter und habe ein ganz gewöhnliches Leben geführt, und nachts gehe ich so gut wie nie vor die Tür. Wie könnte ich da zum Vampir geworden sein?«
»Gewöhnlich erreicht man das, indem man sich beißen lässt«, erklärte John.
»Ja.« Schwarz nickte. »Der Biss des Nichtlebens.«
»Aber ich wurde nie gebissen«, erwiderte ich verzweifelt. Ich zerrte den Kragen beiseite und zeigte ihnen meinen Hals. »Da, seht ihr? Keine Bissspuren, keine Narben, gar nichts.«
»Die Narben verheilen schnell«, widersprach ein anderer Vampir. »Dank einer unserer zahlreichen Fähigkeiten.«
»Und viele Opfer erinnern sich nicht an den Biss des Nichtlebens«, ergänzte Schwarz. »Wir … wir beißen nämlich nur schlafende Menschen. Die sind nicht so schwer zu unterwerfen.«
»Wirklich?«, fragte John begeistert. »Das habe ich noch nie gehört. Andererseits weiß ich auch wenig über Vampire.« Er lächelte unsicher. »Wäre es zu viel verlangt, wenn ich darum bitte, einen von euch untersuchen zu dürfen? Nur eine rasche äußerliche Untersuchung – Puls, Temperatur und ähnliche Messungen. Daran wäre nichts Unerlaubtes, ich habe eine Lizenz.«
»Welche Lizenz?«, ertönte eine tiefe Stimme hinter uns. Ich zuckte vor Schreck zusammen, und als ich mich umwandte, entdeckte ich den Beobachter aus dem Pub, den ich mittlerweile völlig vergessen hatte. Nun stander neben uns, und ich erkannte einen älteren Mann, dessen Gesicht sich im Schatten einer breiten Hutkrempe verbarg. Der Körperbau blieb unter dem dicken Übermantel verborgen.
»Was?« Auch John schien erschrocken. »Meine Lizenz? Ich bin Apotheker – ich bin zugelassener Apotheker, wie es dem Gesetz entspricht. John Keats, zu Ihren Diensten. Und wer sind Sie?«
»Inspector Herring im Dienste König Georgs des Dritten, Spezialagent des Prinzregenten.«
»Ein Wachtmeister?«, fragte ich beunruhigt.
»Nein«, antwortete er und erwiderte meinen Blick. »Vampirjäger.«
London · Abend
Ich starrte den Mann an und ließ den Mund fest geschlossen, um einen ganzen Schwall höchst unpassender Worte
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