Sarg niemals nie
erklärte ich ihm.
»Neunzigtausend Pfund«, wiederholte John langsam. »Und wie heißt der tote Gentleman?«
»Harry Beard.«
»Das ist alles nur ein Witz, oder?«
»Harry Beard starb und hinterließ weder lebende Verwandte noch ein Testament. Der Wert seines Erbes beläuft sich auf neunzigtausend Pfund, und niemand hätte es beanspruchen können. Deshalb ist es genau genommen auch kein Diebstahl, weil es eigentlich niemandem gehört.«
»Das ist ein schlagendes Argument.«
»Danke, ich bin ganz deiner Meinung. Gwendolyn anscheinend auch.«
»Deine Schwester«, sagte John.
»Die Frau, die behauptet, die Schwester des Mannes zu sein, der zu sein ich behauptet habe«, erwiderte ich. »In Wirklichkeit – ich weiß, damit hast du nicht viel am Hut, aber übe Nachsicht mit mir – heißt sie Gwendolyn Gaddie und ist die Tochter des Bartholomew Gaddie,des Partners von Plumb und Gaddie Bank Associates und des Bruders des Colin Gaddie, mit dem wir gerade gesprochen haben. Letzterer verwaltet den Nachlass des Harold Beard.«
»Ich ahne, wie sie ins Spiel kommt.«
»Das bezweifle ich, aber fahr nur fort.«
»Spät am Abend, du kletterst leise durchs Fenster deiner leidenschaftlichen Geliebten Gwendolyn, da hörst du zufällig, wie ihr Vater den unmittelbar bevorstehenden Tod des einsamen Harry Beard erwähnt. So kommt dir der Gedanke, das Geld für dich zu beanspruchen und damit der schönen Gwendolyn ein behagliches Leben zu bieten, nachdem ihr gemeinsam durchgebrannt seid.«
»Das trifft es wohl recht gut, aber ersetz bitte das Fenster durch das Büro eines Sekretärs und eine leidenschaftliche durch eine unglaublich gierige Geliebte. Dann passt es.«
»Köstlich! Frederick, was gäbe ich darum, dein Leben führen zu dürfen: ein entflohener Sträfling, ein Vampir und zu alledem auch noch ein betrogener Liebhaber! Dir fehlt nur noch eine tödliche Krankheit zu einem wahrhaft erfüllten Leben, obschon es dann natürlich nicht mehr lange währen würde.«
»Wie steht es um den Verlust meiner Erbschaft?«, fragte ich. »Den kannst du ruhig mit einbeziehen.«
»Aber die Erbschaft gehört dir doch gar nicht«, wandte John ein. »Ich weiß nicht, ob das zählt.«
»Sie gehört überhaupt niemandem«, erwiderte ich. »Also kann man auch sagen, sie gehört mir. Es gibt eigentlich nur eine Erklärung dafür, wie Gwendolyn die Papiere fälschen und sich als Harrys Nichte ausgebenkonnte: Ihr Bruder Percy, ihr echter Bruder, arbeitet ebenfalls in dieser Bank, wie Mister Gaddie schon sagte, und da ich nicht mehr dort war, um gefälschte Papiere herzustellen, hat sie sich wohl an ihn gewandt.«
»Welch vielschichtige Intrige! Der Stoff für ein monumentales Epos.« John griff in die Westentasche und zückte einen bis zum Stummel abgenutzten Kohlestift, den er mit einem winzigen Messer schärfte.
»Ist das ein …«
»Das Skalpell eines Chirurgen«, bestätigte John, während er die Spitze des Stifts begutachtete. Er ließ das Messer wieder verschwinden. »Wo waren wir stehen geblieben? Im Dunkel der Nacht, im wilden, gefährlichen Land, kam Frederick zu meiner Kutsche gerannt. Die Augen loderten vor Zorn, das Antlitz war im Grimm verzerrt … « Er kritzelte die Worte auf den Hemdsärmel, während er sprach. Schnell und ohne erkennbare Mühe formte er die Reime.
Ich ließ ihn dichten und betrat den Pub, vor dem wir standen. Es war ein großes Wirtshaus, das dem Schild nach Crown and Anchor hieß. Da wir noch ein wenig von Washpoles Geld besaßen, bestellte ich beim Wirt einen Teller gebratenen Fisch und setzte mich an einen leeren Tisch. John, der sich völlig auf den Ärmel konzentrierte und wie wild schrieb, folgte mir langsam und setzte sich mir gegenüber hin, ohne auch nur einmal innezuhalten.
» Frederick, vor Wut entbrannt, beschloss … Was hast du eigentlich beschlossen?«
»Zu Mittag zu essen.«
» Vor Wut entbrannt, ging darauf in ein Restaurant. Das klingt aber nicht sehr episch.«
»Wir warten hier und behalten die Bank im Auge«, sagte ich. »Wenn Percy Feierabend macht, folgen wir ihm. Wahrscheinlich geht er nach Hause, und dort finden wir sicher auch Gwendolyn.«
» Nachdem die Wut ist voll entfacht, sucht Frederick sein Glück in gruslig kalter Nacht!«, rief John triumphierend, kritzelte sich die Worte auf den Ärmel und setzte einen eleganten Schnörkel darunter. »Autsch! Jetzt habe ich mich in den Arm gestochen.«
»In gruslig kalter Nacht?«, fragte ich. »Geht das nicht etwas zu
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