Sarg niemals nie
flüsterte Mary heiser.
»Eine Zigeunerin namens Mary Jane Persimmon?«, fragte Mister Gaddie. »Der Name klingt überhaupt nicht nach einer Zigeunerin.«
»Sie ist nicht von Geburt an Zigeunerin«, sagte John rasch.
»Sie wurde als Kind entführt«, fügte ich hinzu.
»Was?«, sagten Mary und Mister Gaddie gleichzeitig.
»Wussten Sie das etwa nicht?« Ich tat erschrocken. »Es tut mir leid, dass Sie es auf diese Weise erfahren.«
»Ja, wie auch immer«, meinte Mister Gaddie. »Schaffen Sie die Zigeuner-Totengräberin von dem Sarg weg, damit wir ihn öffnen können.«
»Percy«, sagte John, »bitte erklären Sie Ihrem Onkel, wo sich Harold Beards Leichnam befand.«
Percy wurde totenbleich. Mit finsterer Miene verschränkte Mister Gaddie die Arme vor der Brust.
»Ich … der … Sir … Tote … nicht … also, wissen Sie, äh …«, stotterte Percy, und John nickte uns zu. Mary griff unter ihr Kleid und zückte einen hölzernen Pflock.
»Was tun Sie da?«, hauchte ich und deutete auf das Holz.
»Er ist ein Vampir«, hauchte Mary zurück und deutete auf den Sarg.
»Haben Sie immer einen Pflock dabei?«, flüsterte ich und tat so, als hätte ich selbst einen in der Hand.
»Sie etwa nicht?«, fragte sie ebenso leise zurück.
»Geben Sie mir das Ding!« Ich riss ihr den Pflock aus der Hand. Sie funkelte mich an, half mir aber, den Sargdeckel zu heben, wenn auch widerwillig. Gustav hatte die Augen weit aufgerissen und starrte uns verwirrt an. Ich presste ihm eine Hand auf den Mund, ehe er etwas sagen konnte. »Wenn du den kleinsten Laut von dir gibst, bringe ich dich um«, flüsterte ich.
Erschrocken starrte er mich an, sein Blick wanderte zwischen meinem Gesicht und dem Pflock hin und her.
»Ich hab’s«, flüsterte Mary. Ehe ich michs versah, drosch sie ihm einen Briefbeschwerer gegen die Schläfe, schlug ihn bewusstlos und quetschte mir die Finger. Ich schrie vor Schmerz laut auf und ließ den Pflock fallen, worauf John und Mister Gaddie herumfuhren, während Mary den Briefbeschwerer hinter dem Rücken verbarg. Mühsam wahrte ich die Fassung und rang mir sogar ein Lächeln ab. Den Pflock beförderte ich mit einem Tritt unter einen Schreibtisch. Percy, der nicht mehr ein noch aus wusste, stieß einen Schwall zusammenhangloser Worte aus.
»Was ist denn nur los mit dir?«, herrschte ihn Mister Gaddie an. Er warf mir einen scharfen Blick zu und verlor allmählich die Geduld.
»Ein Zigeunerfluch«, krächzte Mary heiser.
»Ah, da ist ja der Tote.« Mister Gaddie trat näher heran und betrachtete den Sarg. »Worauf soll ich hier eigentlich achten? Er gleicht allen anderen Toten, die ich bisher gesehen habe.«
»Sehen Sie denn viele?«, wollte Mary wissen.
»Müsste ich fragen, worauf ich achten soll, wenn ich viele Tote zu sehen bekäme?«, gab er zurück. »Hätte ich mich jemals ernsthaft mit dem Betrachten von Toten befasst, so wäre ich gewiss der beste Totenbetrachter von ganz England, und das … Was ist denn mit seinem Gesicht los?«
»Mit seinem Gesicht?«, fragte John.
»Er blickt zur Seitenwand des Sargs statt nach oben«, erklärte Mister Gaddie. »Das erkennt sogar ein Totenbetrachter, der sich noch in der Ausbildung befindet.«
»Das muss mit der Todesursache zusammenhängen, Mister Gaddie«, erklärte John. »Durch welchen Umstand auch immer wurde sein Hals völlig unbeweglich, und das lässt sich überhaupt nicht mehr ändern.«
Mister Gaddie langte in den Sarg und berührte vorsichtig Gustavs Gesicht. Kaum hatte er sich daran gewöhnt, eine Leiche zu befingern, drehte er den Kopf in eine aufrechte Stellung.
»Er bewegt sich doch ganz leicht.« Der Kopf rollte sofort wieder auf die Seite.
»Genau das bereitet uns größtes Kopfzerbrechen«, schaltete sich John ein. »Wie ich schon sagte, der Hals ist völlig beweglich, und das lässt sich überhaupt nicht mehr ändern.«
»Verstehe.« Mister Gaddie zog die Hand zurück und wischte sie an einem Taschentuch ab. »Trotz der Unfähigkeit, die ich aufseiten des BestattungsunternehmensSpilsbury und Beard beobachten musste, scheint mir hier alles in Ordnung zu sein. Sagten Sie nicht, die Beerdigung sei bereits anberaumt?«
»Ja.« Ich hielt mir noch immer die pochende Hand. »Um fünf Uhr heute Nachmittag.«
»Legen Sie sie auf vier Uhr und keine Minute später«, befahl er. »Ich bin ein viel beschäftigter Mann, und dies ist nicht der einzige Termin, den ich heute habe.«
»Dann werden Sie kommen?«, fragte
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