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Sarg niemals nie

Sarg niemals nie

Titel: Sarg niemals nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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sie die Einwände erhoben. »Es ist das Versmaß. Ich kann die Betonung auf Kritik legen, aber so spricht man eigentlich nicht. Versuchen Sie es einmal.« Als Anne zögerte, drängte er sie erneut. » Ungerechte Kritik – bitte sprechen Sie die beiden Worte aus. Ungerechte Kritik. «
    »Ungerechte Kritik«, sagte Anne nicht ohne Belustigung.
    »… bekommt ungerechte Kritik«, wiederholte John dramatisch. »Man muss es viel zu schnell hervorstoßen. Lyrik ist ein kurzes Wort mit einem seltsamen Klang. DieWorte sollten so leicht über die Zunge gehen wie das Gefühl, welches das Herz bewegt. Ein dunkles Sehnen spür ich manchmal in der Brust, auf meinem Grab zu sitzen schon, als wär’s mein eigner Thron, und zu vergessen jede Freude, jede Lust. «
    »Hübsch«, sagte Anne mit mehr Wärme, als ich als Antwort auf ein Grabgedicht erwartet hätte.
    »Ich bemühe mich.« John wich ihrem Blick aus. »Aber ich bin kein Shelley. Manchmal glaube ich, ich sollte mich für den Naturalismus entscheiden. Sogar die Vampire schreiben bessere Schauerromane als ich.«
    Darauf zog Anne die Augenbrauen hoch, doch bevor ich mir etwas überlegen konnte, um diese Aussage zu erklären, öffnete sich die innere Tür, und der junge Mann mit dem gestriegelten Kopf erschien.
    »In Sachen Spilsbury und Beard«, leierte er ohne jede Betonung herunter. »Ihr Sarg ist eingetroffen. Bitte folgen Sie mir!«

London · Früher Nachmittag
    John, Percy und ich verabschiedeten uns von der Lady und folgten dem Mann durch ein Gewirr von Fluren. Schließlich erreichten wir ein kleines Empfangszimmer, das man auch von außen durch die Seitentür des Gebäudes betreten konnte. Sie stand gerade offen, weil Mary und zwei angestrengt schnaufende junge Männer den Sarg von einem schwarzen Leichenwagen abluden und mitten im Raum auf einen Tisch hievten. Unterdessen eilten mehrere tintenfleckige Schreiber umher und entfernten Papierstöße, um Platz für den Sarg zu schaffen.
    »Das ging ja schnell«, flüsterte ich Mary zu, als die Sargträger die Kiste abstellten. »So bald hatten wir gar nicht mit Ihnen gerechnet.«
    »Der Bestatter war sehr erfreut, dass die Leiche wieder da war«, antwortete Mary. »Ähnlich wie Percy drängte es ihn, der Bank zu erklären, dass er sie gar nicht verloren hatte.« Der Sarg war dieses Mal ein echter Sarg, keine schlichte Holzkiste. Mary hob den Deckel ab und zeigte uns das üppige Innere, in dem Gustav mit friedlich gefalteten Händen ruhte.
    »Mister Gaddie führt gerade ein Kundengespräch«, erklärte der Bursche mit dem pomadisierten Haar. »Er steht Ihnen gleich zur Verfügung.«
    »Schon wieder Mister Gaddie?«, fragte ich. »Ich hatte sehr gehofft, heute auf Mister Plumb zu treffen.«
    Der Junge ging, ohne mich einer Antwort zu würdigen. Die Sargträger verließen den Raum, und auch die Schreiber kehrten in ihre Büros zurück. Schließlich waren wir allein. Durch die offenen hohen Fenster unter der Decke wehte gedämpft der Londoner Verkehrslärm herein.
    »Mister Gaddie …«, brachte Percy stockend hervor, »… ich kann Mister Gaddie nicht anlügen. Er ist mein Onkel.«
    »Beruhigen Sie sich.« Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Sie müssen nur sagen, dass wir vom Bestattungsunternehmen kommen. Den Rest erledigen wir dann selbst.«
    »Vorausgesetzt, er wirft uns nicht auf der Stelle hinaus«, meinte John. »Über unseren letzten Besuch war er nicht sehr erbaut. Er hält Frederick für tot.«
    »Warum haben wir dann nicht einfach Frederick in den Sarg gelegt?«, erkundigte sich Mary.
    »Was?«, fragte Percy.
    »Wenigstens hat Mary den Sarg rasch herbeigeschafft«, überlegte ich. »Wenn Mister Gaddie ebenso versessen darauf ist, dieses Fiasko zu beenden wie Mister Beard, dann sind wir im Nu wieder draußen.«
    »Mister Beard?«, fragte John. »Wieso hat Harry es so eilig, die Sache zu beenden?«
    »Er ist auf gar nichts mehr versessen«, erwiderte Percy. »Er ist tot. Ich wäre gern bei ihm.«
    »Dann könnten Sie Ihrer Schwester Hallo sagen«, warf Mary fröhlich ein.
    »Was?«, fragte Percy.
    »Nicht Harry Beard«, erklärte ich. »Archibald Beard, der Bestattungsunternehmer.«
    »Nein«, entgegnete Percy, »ich wäre überhaupt nicht gern bei einem Bestattungsunternehmer.«
    »Ich schon«, sagte Mary verträumt. »Bei einem sehr … nachsichtigen Bestattungsunternehmer.«
    »Jetzt fällt es mir wieder ein«, strahlte John. »Beard war der Bestattungsunternehmer, der an dem betreffenden Tag nicht da war. Wir

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